„Der Homograft kommt der körpereigenen Herzklappe am nächsten“

Seit 1993 werden in der Herzklappenbank Kiel am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) Spenden kardiovaskulärer Gewebe –Herzklappen und Blutgefäße – zu Transplantaten aufbereitet und gelagert. Von maximal 30 Herzklappen jährlich aus sogenannten Domino-Herzspenden, die im Zweiergespann bearbeitet wurden, hat sich die Gewebebank zu einer der produktivsten Banken europaweit entwickelt: Das sechsköpfige Team verzeichnete in 2019 136 Spendeneingänge. Begleitet hat diese Entwicklung seit Anbeginn Dr. med. Torsten Morschheuser, Leiter der Herzklappenbank Kiel, Facharzt für Herzchirurgie und heute niedergelassener Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie.

Dr. Morschheuser, Sie präparieren seit 26 Jahren kardiovaskuläre Gewebe in der Herzklappenbank Kiel. Was waren die größten Meilensteine in dieser Zeit?

Das in Kraft treten des Gewebegesetz in 2007 und damit die Klassifizierung von Transplantaten – sprich Gewebezubereitungen – als Arzneimittel war ein struktureller Meilenstein an dem die DGFG mitgewirkt hat. Die Prozessierung von Gewebepräparaten unterliegt seitdem den hohen Standards des Arzneimittelgesetzes. Das erfordert eine sehr aufwendige Qualitätssicherung. Dieser Anforderungen konnten im Bereich der kardiovaskulären Gewebe nur wenige Gewebebanken standhalten. Neben wenigen anderen die Herzklappenbank Kiel.

Hierfür müssen wir in der Gewebebank Hand in Hand und mit 24/7 Bereitschaft und Engagement zusammenarbeiten. Dass der Großteil unseres Teams seit über 10 Jahren dabei ist, erzählt eine Erfolgsgeschichte.

Die DGFG Koordinator*innen führen von derzeit 31 Standorten aus die Gewebespende in ganz Deutschland durch. Die gespendeten Gewebe gehen dann in eine der Gewebebanken im DGFG Netzwerk. Was passiert mit den Spenderherzen und -gefäßen, wenn sie in der Gewebebank Kiel eingehen?

Zunächst findet eine Eingangskontrolle durch die diensthabende Mitarbeiterin statt: Ist der Behälter in Ordnung? Stimmt die Eingangstemperatur? Sind alle erforderlichen Dokumente vorhanden? Ist alles korrekt, werde ich hinzu gerufen. Ich beurteile auf Basis der Dokumentation, ob eine Präparation möglich ist. Ist sie das, bereite ich den sterilen Bereich in der Gewebebank, sowie Instrumente und Lösungen für die Präparation vor. In entsprechender Schutzkleidung untersuche ich das Herz, welches als Ganzes entnommen wurde, auf eventuelle Anomalien, die die Klappenfunktion beeinträchtigen könnten. Dann lege ich die Pulmonal- und Aortenklappen frei und teste ihre Funktion im Wasserbad.

Welche Tests müssen Gewebe außerdem bestehen und was sind die nächsten Schritte auf dem Weg zum Patienten?

Zur Dekontamination von möglichen Keimen und Pilzen werden die Gewebe über 24 Stunden in eine spezielle Antibiotika-Lösung gegeben. Um zu überprüfen, ob es eine mikrobielle Belastung zuvor gegeben hat, ziehe ich Proben aus der Flüssigkeit, in der das Gewebe bzw. das Organ eingegangen ist. Neben dieser sogenannten Steriltestung werden auch Gewebeproben entnommen und in ein Labor zur mikrobiologischen und histologischen Untersuchung geschickt. Bei der Histologie wird Herzklappen nahes Gewebe begutachtet: Lassen sich Tumor- oder Entzündungszellen nachweisen? Gibt es Speichererkrankungen im Muskel, die für eine Implantation problematisch werden könnten? Ziel all dieser Tests ist ein möglichst hoher Empfängerschutz und Qualität der Transplantate.

Nach der Dekontamination und erneuter Steriltestung wird das Gewebe gespült, eingeschweißt und maschinengesteuert gefroren auf rund minus 140 Grad. Gelagert werden die Transplantate dann in einem sogenannten Cryo-Tank in der Gasphase von flüssigem Stickstoff bei ungefähr minus 160 bis 170 Grad. Bis alle mikrobiologischen, histologischen und gegebenenfalls virologischen Testergebnisse des Spenderblutes vorliegen, lagert das Transplantat in einem Quarantänetank isoliert.

Mit dem Unterzeichnen des Freigabeprotokolls darf das Gewebe in Verkehr gebracht werden. Dann ist die Vermittlungsstelle am DGFG Hauptsitz in Hannover gefragt passende Empfänger zu finden.

Ein aufwendiger Prozess! Wie lange dauert eine solche Präparation und wer ist neben Ihnen involviert?

Die Eingangskontrolle und die gesamte Nachbereitung, also von der Reinigung, Desinfektion und Sterilisation der Arbeitsmittel und Instrumente, über den Versand mikrobiologischer und histologischer Proben, das Einholen von Befunden und weitere Kommunikation und Dokumentation – das ist ein enormer organisatorischer und zeitlicher Aufwand, den Judith Ernst, Grit Dreyer, Inge Frey und Julia Wippler bewältigen. In unseren Cryo-Tanks können bis zu 200 Homografts gelagert werden. Dafür, dass diese stets einwandfrei laufen, sorgt Dr. Markus Ernst, Physiker. Auch die umfangreiche Qualitätssicherung liegt in seinen Händen. Die Gewebeprozessierung erfordert wirkliche Teamarbeit!

Gibt es für Sie nach mehr als zwei Dekaden in der Gewebeprozessierung noch Herausforderungen?

Die Abläufe bei der Prozessierung sind heute hochstandardisiert und etabliert. Unsere Verwurfsquote auf Grund von Präparationsfehlern ist extrem gering.

Emotional herausfordernd hingegen ist auch nach so vielen Jahren, wenn die Spende von jungen Menschen und Kindern kommt. Denn natürlich werden auch in der Kinderherz-Chirurgie Herzklappen benötigt.

Wann benötigen Patient*innen einen humanen Herzklappen- oder Gefäßersatz?

Wenn sich künstliche Herzklappen- oder Gefäßprothesen entzünden, kann die Transplantation von humanem Spendergewebe lebensnotwendig sein. Eine infizierte Prothese aus Kunststoff kann nicht einfach durch eine neue Kunststoffprothese ersetzt werden. Die Gefahr einer erneuten Infektion wäre zu hoch. Das sind Notfälle und genau aus diesem Grund ist unsere Gewebebank auch rund um die Uhr erreichbar – nicht nur um Gewebe anzunehmen, sondern auch um rauszugeben.

Auch bei Aortenklappenstenosen und -insuffizienzen kann eine Transplantation angezeigt sein. Hier etabliert sich zunehmend die Ross-OP.

Im Bereich der Kinderherzchirurgie sind humane Herzklappen die beste Lösung. Zum einen, weil bei einem mechanischen Klappenersatz aus Kunststoff Medikamente gegen die Blutgerinnung eingenommen werden müssen. Kinder fallen schnell hin und verletzten sich – das ist problematisch. Zum anderen kann eine speziell aufbereitete, humane Herzklappe mitwachsen. Diese Prozessierungs- und Transplantationstechnik wurde in Hannover entwickelt.

Auch wenn in der Herz- und Gefäßchirurgie – wo möglich – auf künstliche oder biologische Prothesen zurückgegriffen wird, muss man feststellen: Die Industrie war bisher nicht in der Lage, eine lebenslänglich haltbare Klappe ohne Dauermedikation zu entwickeln. Der Homograft – Flusseigenschaften dahingestellt – kommt der Körper eigenen Klappe am nächsten.