Covid-19-Pandemie fordert Gewebespende und Patientenversorgung mit lebenswichtigen Gewebetransplantaten heraus

Juni 2020, Hannover – Die Covid-19-Pandemie hat den regulären Klinikbetrieb stillstehen lassen. Auch viele Gewebe- und insbesondere Augenhornhauttransplantationen mussten verschoben werden. Mit der sukzessiven Wiederaufnahme von elektiven Transplantationen ist für Patienten eine rasche Versorgung mit Gewebetransplantaten wichtig. Anlässlich des Tags der Organspende am 06. Juni macht die Deutsche Gesellschaft für Gewebetransplantation (DGFG) auf die dringend benötigten Gewebespende aufmerksam.

„Wir stellen uns darauf ein, die Versorgung mit Gewebetransplantaten in den kommenden Wochen wieder hochzufahren. Wir sehen, dass die Krankenhäuser die OP-Kapazitäten zügig auf 60 bis 70 Prozent erhöhen. Statt des sonst typischen Sommerlochs, werden mehr Transplantationen in der Jahresmitte stattfinden“, zeigt sich Martin Börgel, Geschäftsführer der DGFG, entschlossen. Zu erwarten sei dies, da im April viele Transplantationen seitens Kliniken, aber auch auf Wunsch von Patienten selbst, verschoben wurden.

Zudem bliebe das Infektionsgeschehen im kommenden Herbst und Winter ungewiss und damit auch die Auswirkungen auf elektive Operationen. „Werden Transplantationen als elektive Operationen verschoben, können diese zu Notfällen werden. Genau das sehen wir jetzt: Einige der Fälle nähern sich einer solchen Dringlichkeit, dass Patienten nun umgehend versorgt werden müssen“, beobachtet Börgel und erwartet, dass in den kommenden Monaten Transplantationen nicht nur nachgeholt, sondern auch vorgezogen werden. Er verdeutlicht: „Der plötzliche Einschlag durch den Lockdown war heftig. Ich möchte niemanden auf diesem Weg verlieren“. Dies gilt für Patienten, die auf ein Transplantat angewiesen sind, unterstreicht aber auch das Bestreben, diese Krise gemeinsam mit Spendekrankenhäusern, Gewebebanken und transplantierenden Einrichtungen durchzustehen.

Herausforderung: 50 Prozent weniger Gewebetransplantationen

Weltweit haben sich bislang rund sechs Millionen Menschen mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert. Die bundesweit beschlossenen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie und der Aufschub elektiver Operationen stellt die DGFG dabei vor große Herausforderungen: Während im März das Transplantationsgeschehen nahezu normal verlief, folgte im April ein deutlicher Einbruch im Bereich der ophthalmologischen Gewebetransplantationen um fast 50 Prozent. Trotz des rapiden Rückgangs kann Deutschland die Transplantationsrate über dem Niveau anderer europäischer Länder halten. Extrem betroffen ist Italien; die Auswirkungen auf die hiesige Gewebemedizin verheerend. Nach Angaben der Veneto Eye Bank Foundation in Venedig lag die Transplantationsaktivität im April im Vergleich zur ersten Februarhälfte bei zehn Prozent[1]. Ähnlich prekär ist auch die Lage in Spanien[2].

Die kurzfristige Absage von Augenhornhauttransplantationen im April war insbesondere deswegen planerisch, wirtschaftlich und ethisch herausfordernd, weil Augenhornhauttransplantate eine begrenzte Lagerfähigkeit (34 Tage) haben. Auf gesunkene Transplantationskapazitäten zu reagieren und gleichzeitig eine Notfallversorgung sicherzustellen ist ein Spagat, den Vermittlungsstelle, Koordinatorinnen und Koordinatoren, Ärztinnen und Ärzte, Gewebebanken sowie Spendestandorte und -kliniken gemeinsam gemeistert haben. Dies reflektieren die deutlich niedrigeren Spendezahlen: 171 Gewebespenden wurden im April durchgeführt; im März waren es noch 233 und im Februar 271.

Normalität in der Krise: Wieder mehr Gewebespenden

Nun gilt es, Normalität in der Krise zu etablieren und die Spende dem wieder steigenden Transplantationsaufkommen anzupassen. Im Mai ist dies bereits gelungen: 243 Menschen spendeten Gewebe. Das bundesweite Netzwerk von 31 DGFG Standorten und über 100 Spendekrankenhäusern kommt zum Tragen: Können auf Grund von örtlichem Infektionsgeschehen Spenden an einem Standort nicht realisiert werden, gleichen andere Standorte dieses Defizit aus.

Voraussetzung für die Gewebespende ist die Einwilligung seitens Spendern und Angehörigen. Auch am diesjährigen Tag der Organspende, der virtuell stattfindet, informiert die DGFG deshalb zur Gewebespende nach dem Tod. In einem Live-Chat beantwortet die DGFG am Samstag Nachmittag, den 06. Juni, Fragen zur Gewebespende unter www.organspendetag.de.

Gewebetransplantate sind sicher

Bei der Beurteilung der Gewebesicherheit folgt die DGFG den Leitlinien und Empfehlungen des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI). Diesem zufolge sei eine Übertragung respiratorischer Viren durch Implantation, Transplantation, Infusion oder Transfer von menschlichen Zellen oder Gewebe bisher nicht beschrieben. Zum aktuellen Zeitpunkt seien keine Fälle einer Übertragung von SARS-CoV-2 über Gewebezubereitungen berichtet worden[3].

Das ohnehin sorgfältige Screening potenzieller Gewebespender, wurde um die explizite Abfrage von Reisetätigkeiten und Aufenthalten in Covid-19-Risikogebieten und Kontakten mit Covid-19 Infektions- und Verdachtsfällen erweitert. Potenzielle Gewebespender mit einer bestätigten SARS-CoV-2-Infektion oder mit Kontakt zu Infizierten werden entsprechend der Vorgaben des PEI vorsorglich ausgeschlossen.

Stimmen von Transplantationsmedizinern zur Gewebetransplantation während der COVID-19-Pandemie

„In den vergangenen Wochen hat die Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde der Unimedizin Rostock trotz eines eingeschränkten Klinikbetriebs alle Notfallpatienten mit Gewebetransplantaten versorgt. Jetzt arbeiten wir mit Hochdruck daran, verschobene Operationen – wie auch elektive Hornhauttransplantationen – nachzuholen. Unsere Patienten vertrauen uns und haben Verständnis. Außerdem wird bei uns jeder voll- und teilstationäre Patient bei seiner Aufnahme auf Covid-19 getestet, so dass eine sehr hohe Sicherheit besteht. Die Zusammenarbeit bei uns im Team und auch mit der DGFG funktioniert hervorragend und zuverlässig – auch in unsicheren Zeiten.“

„Ein Augenhornhauttransplantat ist ein wertvolles Gut, denn es ist eine altruistische Spende eines verstorbenen Menschen. Den Verwurf dieser Gewebespenden zu vermeiden war uns wichtig! Deswegen haben wir in den vergangenen Wochen neben akuten Notfällen auch wenige geplante Transplantationen vorgenommen, wenn über die DGFG entsprechendes Gewebe zur Verfügung stand. Die Augenhornhauttransplantation ist darüber hinaus zumeist ultima ratio – eine gewisse Dringlichkeit ist also häufig gegeben. Transplantationen, die dennoch verschoben wurden, werden nun zügig nachgeholt.“

„Die COVID-19-Pandemie hat in den vergangenen Monaten alle Bereiche des Gesundheitssystems betroffen. Das Team der Deutschen Gesellschaft für Gewebetransplantation konnte uns in dieser herausfordernden Zeit dennoch – in gewohnt konstruktiver Weise – für zwei Patienten mit schwerer Gefäßinfektion Homografts zur Verfügung stellen. Eine sichere Patientenversorgung, auch in Notfällen, war daher möglich. Ob in den kommenden Monaten eine erhöhte Nachfrage nach diesen humanen Transplantaten zu erwarten ist, bleibt schwer abzuschätzen. Der Gefäßersatz mit Homografts bleibt jedenfalls eine sinnvolle Alternative zur Gefäßrekonstruktion in schweren Infektsituationen.“

„Die Vorbereitungen auf die Covid-19-Pandemie hatte Mitte März 2020 dazu geführt, dass wir in unserer Augenklinik das gesamte Programm binnen weniger Tage auf einen reinen Notbetrieb umgestellt haben. Für unsere Patienten bedeutete das ein Verschieben von Ambulanzterminen und Absagen von planbaren Operationen. Davon waren auch geplante Transplantationen betroffen, so dass wir von Mitte März bis Mitte Mai insgesamt nur ein Drittel so viele Hornhautübertragungen gemacht haben, wie sonst in einem normalen zehnwöchigen Intervall. Eine deutliche Beobachtung war die Zunahme an schwerwiegenden Hornhautkomplikationen, so dass wir fast wöchentlich eine Hornhautübertragung als Notfall durchführen mussten. Der deutschlandweite Verbund der Gewebebanken im DGFG Netzwerk ist stark durch Vernetzung, großartige Mitarbeiter und cleveres Management und schenkte unseren Patienten auch in schwersten Zeiten Hoffnung auf Heilung! Nachdem wir den Vollbetrieb nun wieder aufgenommen haben, warten 684 Patienten auf einen neuen Termin – davon auch viele für eine Hornhauttransplantation. Der Bedarf wird also voraussichtlich in den nächsten Wochen stark steigen.“

„Auch in unserer Klinik wurden während der COVID-19-Pandemie nur Patienten mit einer dringlichen Indikation operiert. Die Hälfte unserer Patienten auf der Warteliste auf eine Gewebetransplantation muss leider mehrere Monate länger auf ihre Operation warten. Die reservierten Gewebetransplantate wurden in diesen Fällen kurzfristig storniert. Besonders während dieser komplizierten Phase konnten wir uns auf die Hilfsbereitschaft und Flexibilität der DGFG verlassen. In den nächsten Monaten steht uns eine aufwendige Wiederaufnahme des Regelbetriebs vor. In den letzten Tagen konnten wir bereits die Gewebetransplantate für verschobene Patienten allokieren, sodass bald wieder die ersten Patienten termingerecht versorgt werden können.“

„An der Universitätsaugenklinik Halle wurde rasch auf die Corona-Pandemie reagiert. Die Mitteldeutsche Hornhautbank Halle (MCH) arbeitete mit einem Back-up-Team, um im Fall einer Infektion von Mitarbeiterinnen auch weiterhin Gewebe zur Hornhauttransplantation zur Verfügung stellen zu können. Als zentraler Partner koordinierte die DGFG auch in den vergangenen Wochen trotz schwerer Bedingungen die Gewebespende und unterstützte bedarfsgerecht, um deutschlandweit Kliniken zu helfen, die dringend Hornhautgewebe zur Versorgung von Patienten benötigten.

Nottransplantationen – etwa bei Hornhautgeschwüren, Verletzungen oder schweren Augeninfektionen – konnten wir daher jederzeit durchführen. Hornhauttransplantationen im gewohnten Maß hingegen haben wir erst dann fortgesetzt, als Sicherungsmaßnahmen, wie Schutzmasken, Abstriche, Isolationszimmer, COVID-Stationen, am Universitätsklinikum Halle eingerichtet worden waren. Bei Operationen mit erhöhtem Infektionsrisiko durch eine Immunsuppression sind wir noch zurückhaltend, um unsere Patienten keiner Gefährdung auszusetzen. Aufgrund verschobener Transplantationen und auch der inzwischen abnehmenden Sorgen in der Bevölkerung, was Operations- und Infektionsrisiken angeht, wird in den kommenden Monaten mit einem erhöhten Bedarf an Transplantationen zu rechnen sein.“

„An der Augenklinik Sulzbach wurden keine Transplantationen ausgesetzt. Wir haben währen der gesamten Pandemiezeit weiter transplantiert. Aus meiner Sicht handelt es sich hier nicht um aufschiebbare Operationen, denn dem Patienten würde ein medizinischer Schaden drohen. Das Transplantat wartet nicht.“

„Wir wenden ein modernes Verfahren an, bei dem nicht die ganze Hornhaut, sondern die Hornhaut-Innenschicht ersetzt wird. 14 solcher Transplantationen haben wir im vergangenen Jahr vorgenommen und zu Beginn dieses Jahres weitere fünf. Durch die Corona-Pandemie konnten wir dann zunächst keine weiteren festen Zusagen machen, aber inzwischen stehen die nächsten OP-Termine fest. Die Patienten, die auf diese Operationen warten, sind zwar in der Regel nicht akut krank, deshalb wurden die Eingriffe verschoben. Aber durch das Warten wird die Sehkraft nicht besser. Hingegen kann eine Entzündung, die die Augenhornhaut akut schädigt, eine Notfalltransplantation erfordern. Dies kam in den vergangenen Wochen glücklicherweise nicht vor. Andernfalls hätten wir dann sofort operiert.“

Über die DGFG

Die DGFG fördert seit 1997 die Gewebespende und -transplantation in Deutschland. Auf Basis des Gewebegesetzes von 2007 sind alle Tätigkeiten und Ablaufprozesse der Gewebespende gesetzlich geregelt. Für alle Gewebezubereitungen gilt das Handelsverbot. Die DGFG vermittelt ihre Transplantate über eine zentrale Vermittlungsstelle mit einer bundesweiten Warteliste. Jede medizinische Einrichtung in Deutschland kann Gewebe von der DGFG beziehen. Als unabhängige, gemeinnützige Gesellschaft wird die DGFG ausschließlich von öffentlichen Einrichtungen des Gesundheitswesens getragen: Gesellschafter sind das Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden, das Universitätsklinikum Leipzig, die Medizinische Hochschule Hannover, die Universitätsmedizin Rostock sowie das Dietrich-Bonhoeffer-Klinikum Neubrandenburg. Die DGFG ist in ihrer Aufbaustruktur, der Freiwilligkeit der Unterstützung durch die Netzwerkpartner und ihrer Unabhängigkeit von privaten oder kommerziellen Interessen einzigartig in Deutschland.

Julia-Maria Blesin, M.A.

Julia-Maria Blesin, M.A.

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

0511 563 559 34