Update: Gewebespende und -transplantation in der COVID-19-Pandemie

Spende und Transplantation wird wieder hochgefahren: Die COVID-19-Pandemie hat den regulären Klinikbetrieb stillstehen lassen. Auch viele Gewebe- und insbesondere Augenhornhauttransplantationen mussten verschoben werden. Mit der sukzessiven Wiederaufnahme von elektiven Transplantationen ist für Patienten eine rasche Versorgung mit Gewebetransplantaten wichtig. Die gemeinnützige Deutsche Gesellschaft für Gewebetransplantation (DGFG) und Transplantationsmediziner berichten über die vergangenen Wochen und blicken gemeinsam nach vorne.

Im April wurden viele Transplantationen seitens Kliniken, aber auch auf Wunsch von Patienten selbst, verschoben. Statt des sonst typischen Sommerlochs, erwartet die DGFG daher mehr Transplantationen in der Jahresmitte. Bereits jetzt melden viele Krankenhäuser, dass die OP-Kapazitäten auf 60 bis 70 Prozent erhöht wurden.

Wie hat die COVID-19-Pandemie die Gewebemedizin in den vergangenen Wochen beeinflusst?

Weltweit haben sich bislang fast sechs Millionen Menschen mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert. Die bundesweit beschlossenen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie und der Aufschub elektiver Operationen stellte die DGFG dabei vor große Herausforderungen: Während im März das Transplantationsgeschehen nahezu normal verlief, folgte im April ein deutlicher Einbruch im Bereich der ophthalmologischen Gewebetransplantationen um fast 50 Prozent.

Trotz des rapiden Rückgangs kann Deutschland die Transplantationsrate über dem Niveau anderer europäischer Länder halten. Extrem betroffen ist Italien; die Auswirkungen auf die hiesige Gewebemedizin verheerend. Nach Angaben von Dr. Diego Ponzin, Medizinischer Direktor der Veneto Eye Bank Foundation in Venedig, lag die Transplantationsaktivität im April im Vergleich zur ersten Februarhälfte bei zehn Prozent[1]. Ähnlich prekär ist auch die Lage in Spanien[2].

„Die COVID-19-Pandemie hat in den vergangenen Monaten alle Bereiche des Gesundheitssystems betroffen. Das Team der Deutschen Gesellschaft für Gewebetransplantation konnte uns in dieser herausfordernden Zeit dennoch – in gewohnt konstruktiver Weise – für zwei Patienten mit schwerer Gefäßinfektion Homografts zur Verfügung stellen. Eine sichere Patientenversorgung, auch in Notfällen, war daher möglich. Ob in den kommenden Monaten eine erhöhte Nachfrage nach diesen humanen Transplantaten zu erwarten ist, bleibt schwer abzuschätzen. Der Gefäßersatz mit Homografts bleibt jedenfalls eine sinnvolle Alternative zur Gefäßrekonstruktion in schweren Infektsituationen.“

“Die Vorbereitungen auf die COVID-19-Pandemie hatte Mitte März 2020 dazu geführt, dass wir in unserer Augenklinik das gesamte Programm binnen weniger Tage auf einen reinen Notbetrieb umgestellt haben. Augenärzte waren plötzlich beispielsweise in der Onkologie, im Krisenstab und einige Ärzte waren im Überstundenfrei. Hauptsächliches Ziel war Ressourcen für Schutzausrüstung, Desinfektionsmittel und OP-Kittel zu schonen und eine Konzentrierung von infektiösen Menschen zu vermeiden. Für unsere Patienten bedeutete das ein Verschieben von Ambulanzterminen und Absagen von planbaren Operationen. Davon waren auch geplante Transplantationen betroffen, so dass wir von Mitte März bis Mitte Mai insgesamt nur ein Drittel so viele Hornhautübertragungen gemacht haben, wie sonst in einem normalen 10 wöchigen Intervall.”

Warum ist die kurzfristige Absage von Transplantationen auch eine Herausforderungen für die Spende von Geweben?

Anders als Organe werden Gewebespenden nicht unmittelbar nach der Entnahme transplantiert. Zunächst werden sie in einer Gewebebank aufbereitet und können dort bis zur Transplantation – je nach Gewebe – unterschiedlich lange und unter Gewebe spezifischen Bedingungen gelagert werden (mehr hier).

Die kurzfristige Absage von Augenhornhauttransplantationen im April war insbesondere deswegen planerisch, wirtschaftlich und ethisch herausfordernd, weil Augenhornhauttransplantate eine begrenzte Lagerfähigkeit (34 Tage) haben. Wird dieser Zeitraum überschritten, müssen Spenden verworfen werden.

„Ein Augenhornhauttransplantat ist ein wertvolles Gut, denn es ist eine altruistische Spende eines verstorbenen Menschen. Den Verwurf dieser Gewebespenden zu vermeiden war uns wichtig! Deswegen haben wir in den vergangenen Wochen neben akuten Notfällen auch wenige geplante Transplantationen vorgenommen, wenn über die DGFG entsprechendes Gewebe zur Verfügung stand. Die Augenhornhauttransplantation ist darüber hinaus zumeist ultima ratio – eine gewisse Dringlichkeit ist also häufig gegeben. Transplantationen, die dennoch verschoben wurden, werden nun zügig nachgeholt.“

Im DGFG Netzwerk kooperieren Gewebebanken, Spendekrankenhäuser und Transplantationszentren. Wie hilft diese Netzwerkstruktur die Corona-Krise zu bestehen?

Auf gesunkene Transplantationskapazitäten zu reagieren und gleichzeitig eine Notfallversorgung sicherzustellen ist ein Spagat, den Vermittlungsstelle, Koordinatorinnen und Koordinatoren, Ärztinnen und Ärzte, Gewebebanken sowie Spendestandorte und -kliniken gemeinsam gemeistert haben. Das spiegeln auch die deutlich niedrigeren Spendezahlen wider: 171 Gewebespenden wurden im April durchgeführt; im März waren es noch 233 und im Februar 271.

Fiel eine Gewebebank in den vergangenen Wochen aus, wurden Spenden zur Prozessierung und Lagerung an andere Gewebebanken umgelenkt. So konnte eine Notfallversorgung mit Gewebetransplantaten jederzeit geleistet werden.

Nun gilt es, Normalität in der Krise zu etablieren und die Spende dem wieder steigenden Transplantationsaufkommen anzupassen. Auch hierbei kommt das bundesweite Netzwerk von 31 DGFG Standorten und über 100 Spendekrankenhäusern zum Tragen: Können auf Grund von örtlichem Infektionsgeschehen Spenden an einem Standort nicht realisiert werden, gleichen andere Standorte dieses Defizit aus. Zu Gute kommt diese Organisation im Netzwerk den Patienten und Transplantationszentren: So haben im Mai 243 Menschen Gewebe gespendet.

„Eine deutliche Beobachtung war die Zunahme an schwerwiegenden Hornhautkomplikationen, so dass wir fast wöchentlich eine Hornhautübertragung als Notfall durchführen mussten. Eine gute Hornhaut war zu jedem Zeitpunkt der Krise zu bekommen, wofür wir unserem starken Partner der Deutsche Gesellschaft für Gewebetransplantation (DGFG) außerordentlich dankbar sind. Mit nichts zu ersetzen ist diese Sicherheit durch ständige Ansprechbarkeit, hohe Verfügbarkeit und absolute Zuverlässigkeit bei der Belieferung. Das hat die DGFG in der Krise durchgehend bewiesen. Dieser deutschlandweite Verbund von Gewebebanken ist stark durch Vernetzung, großartige Mitarbeiter und cleveres Management und schenkte unseren Patienten auch in schwersten Zeiten Hoffnung auf Heilung!

Wie sicher sind Gewebentransplantate?

Bei der Beurteilung der Gewebesicherheit folgt die DGFG den Leitlinien und Empfehlungen des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI). Diesem zufolge sei eine Übertragung respiratorischer Viren durch Implantation, Transplantation, Infusion oder Transfer von menschlichen Zellen oder Gewebe bisher nicht beschrieben. Zum aktuellen Zeitpunkt seien keine Fälle einer Übertragung von SARS-CoV-2 über Gewebezubereitungen berichtet worden[3].

Das ohnehin sorgfältige Screening potenzieller Gewebespender, wurde um die explizite Abfrage von Reisetätigkeiten und Aufenthalten in COVID-19-Risikogebieten und Kontakten mit COVID-19 Infektions- und Verdachtsfällen erweitert. Potenzielle Gewebespender mit einer bestätigten SARS-CoV-2-Infektion oder mit Kontakt zu Infizierten werden entsprechend der Vorgaben des PEI vorsorglich ausgeschlossen.

Die Risikoeinschätzung von potenziellen Spender*innen wird dokumentiert und unterliegt dem Mehr-Augen-Prinzip: Werden Auffälligkeiten bei der Anamnese festgestellt, findet eine Bewertung durch mehrere Ärzt*innen und Koordinator*innen statt.

Der Spendeprozess wird weiterhin an aktuelle Entwicklungen angepasst.

Um die Sicherheit von Hornhautspenden zu verbessern, haben wir an der MCH in Halle ein Pilotprojekt gestartet, in dem wir Bindehaut- sowie Rachen-Abstriche von Spenderinnen und Spendern auf Corona-Viren testen. Damit soll ein potenzielles Infektionsrisiko bei möglichst vielen Hornhautempfängern reduziert werden.

Welche Entwicklungen in der Gewebetransplantation sind in den kommenden Monaten zu erwarten?

Für den kommenden Herbst und Winter bleibt das Infektionsgeschehen und damit auch die Auswirkungen auf elektive Operationen ungewiss. Die DGFG stellt sich darauf ein, dass in den kommenden Monaten Transplantationen nicht nur nachgeholt, sondern auch vorgezogen werden.

„Werden Transplantationen als elektive Operationen verschoben, können diese zu Notfällen werden. Genau das sehen wir jetzt: Einige der Fälle nähern sich einer solchen Dringlichkeit, dass Patienten nun umgehend versorgt werden müssen. Der plötzliche Einschlag durch den Lockdown war heftig. Ich möchte niemanden auf diesem Weg verlieren.“

„In den vergangenen Wochen hat die Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde der Unimedizin Rostock trotz eines eingeschränkten Klinikbetriebs alle Notfallpatienten mit Gewebetransplantaten versorgt. Jetzt arbeiten wir mit Hochdruck daran, verschobene Operationen – wie auch elektive Hornhauttransplantationen – nachzuholen. Unsere Patienten vertrauen uns und haben Verständnis. Außerdem wird bei uns jeder voll- und teilstationäre Patient bei seiner Aufnahme auf COVID-19 getestet, so dass eine sehr hohe Sicherheit besteht. Die Zusammenarbeit bei uns im Team und auch mit der DGFG funktioniert hervorragend und zuverlässig – auch in unsicheren Zeiten.“

Seit dem 18. Mai haben wir den Vollbetrieb wieder aufgenommen und steigern jetzt durch ein ausgeklügeltes Programm unsere Ambulanzvisiten. Da wir insgesamt 684 Patienten einen neuen Termin vergeben müssen, ist auch mit einem Anstieg bei den Anmeldungen für Hornhautübertragungen zu rechnen. Der Bedarf wird also voraussichtlich in den nächsten Wochen stark steigen. Unter größtem Sicherheitsregime, wie beispielsweise ein Covid-19-PCR Abstrich vor Aufnahme und ständiges Tragen der Mund-Nasen-Masken, können wir unseren Patienten ein hohes Maß an Sicherheit beim stationären Aufenthalt bieten.“

Auch in unserer Klinik wurden während der COVID-19-Pandemie nur Patienten mit einer dringlichen Indikation operiert. Die Hälfte unserer Patienten auf der Warteliste auf eine Gewebetransplantation muss leider mehrere Monate länger auf ihre Operation warten. Die reservierten Gewebetransplantate wurden in diesen Fällen kurzfristig storniert. Besonders während dieser komplizierten Phase konnten wir uns auf die Hilfsbereitschaft und Flexibilität der DGFG verlassen. In den nächsten Monaten steht uns eine aufwendige Wiederaufnahme des Regelbetriebs vor. In den letzten Tagen konnten wir allerdings schon auch die neuen Gewebetransplantate für verschobene Patienten allokieren, sodass bald wieder die ersten Patienten termingerecht versorgt werden können.“

„An der Universitätsaugenklinik Halle wurde rasch auf die Corona-Pandemie reagiert. Die Mitteldeutsche Hornhautbank Halle (MCH) arbeitete mit einem Back-up-Team, um im Fall einer Infektion von Mitarbeiterinnen auch weiterhin Gewebe zur Hornhauttransplantation zur Verfügung stellen zu können. Als zentraler Partner koordinierte die DGFG auch in den vergangenen Wochen trotz schwerer Bedingungen die Gewebespende und unterstützte bedarfsgerecht, um deutschlandweit Kliniken zu helfen, die dringend Hornhautgewebe zur Versorgung von Patienten benötigten.

Nottransplantationen – etwa bei Hornhautgeschwüren, Verletzungen oder schweren Augeninfektionen – konnten wir so jederzeit durchführen. Hornhauttransplantationen im gewohnten Maß hingegen haben wir erst dann fortgesetzt, als Sicherungsmaßnahmen, wie Schutzmasken, Abstriche, Isolationszimmer, COVID-Stationen, am Universitätsklinikum Halle eingerichtet worden waren. Bei Operationen mit erhöhtem Infektionsrisiko durch eine Immunsuppression sind wir noch zurückhaltend, um unsere Patienten keiner Gefährdung auszusetzen. Aufgrund verschobener Transplantationen und auch der inzwischen abnehmenden Sorgen in der Bevölkerung, was Operations- und Infektionsrisiken angeht, wird in den kommenden Monaten mit einem erhöhten Bedarf an Transplantationen zu rechnen sein.

Durch die Vernetzung der Hornhautbanken im Netzwerk der DGFG blieb trotz des Einbruchs an Gewebespenden eine Versorgung der Transplantationskliniken mit Hornhautgewebe möglich. Das ist ein Vorteil. Hier gilt mein Dank und Respekt allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der DGFG und der assoziierten Hornhautbanken.“

„An der Augenklinik Sulzbach wurden keine Transplantationen ausgesetzt. Wir haben währen der gesamten Pandemiezeit weiter transplantiert. Aus meiner Sicht handelt es sich hier nicht um aufschiebbare Operationen, denn dem Patienten würde ein medizinischer Schaden drohen. Das Transplantat wartet nicht.“

„Wir wenden ein modernes Verfahren an, bei dem nicht die ganze Hornhaut, sondern die Hornhaut-Innenschicht ersetzt wird. 14 solcher Transplantationen haben wir im vergangenen Jahr vorgenommen und zu Beginn dieses Jahres weitere fünf. Durch die Corona-Pandemie konnten wir dann zunächst keine weiteren festen Zusagen machen, aber inzwischen stehen die nächsten OP-Termine fest. Die Patienten, die auf diese Operationen warten, sind zwar in der Regel nicht akut krank, deshalb wurden die Eingriffe verschoben. Aber durch das Warten wird die Sehkraft nicht besser. Hingegen kann eine Entzündung, die die Augenhornhaut akut schädigt, eine Notfalltransplantation erfordern. Dies kam in den vergangenen Wochen glücklicherweise nicht vor. Andernfalls hätten wir dann sofort operiert.“

Quellen

[1] Cake Magazin (2020). Corneal Transplantation and COVID-19: Insights from Europe. Abrufbar unter https://cakemagazine.org/corneal-transplantation-and-covid-19-insights-from-europe/

[2] EDQM Council of Europe (2020). Webinar on Tissue donation from deceased donors during the COVID-19 pandemic, S. 48, abrufbar unter https://www.edqm.eu/sites/default/files/medias/fichiers/Events/Presentation/Tissue_donation/transplantation_presentation_webinar_tissue_donation_from_deceased_donors_during_the_covid-19_pandemic_28_april_2020.pdf

[3] Paul-Ehrlich-Institut (14.05.2020). Co­ro­na­vi­rus SARS-CoV-2 – Wie sicher sind Gewebezubereitungen? Abrufbar unter https://www.pei.de/DE/newsroom/dossier/coronavirus/coronavirus-inhalt.html