DGFG begrüßt SoHO-Verordnung

Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Gewebetransplantation (DGFG) zur neuen Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Qualitäts- und Sicherheitsstandards für zur Verwendung beim Menschen bestimmte Substanzen menschlichen Ursprungs und zur Aufhebung der Richtlinien 2022/98/EG und 2004/23/EG

17.07.2024 Die DGFG begrüßt die neue SoHO-Verordnung (substance of human origin, kurz SoHO) und sieht damit verbunden eine echte Stärkung der europäischen Gemeinschaft in dem großen und wichtigen Gesundheitssektor für die Versorgung der Bevölkerung mit Blut, Blutbestandteilen, Geweben, Zellen und weiteren SoHO-Substanzen aus medizinisch unterstützter Fortpflanzung und Muttermilch. Eine Vereinheitlichung der Qualitäts- und Sicherheitsstandards auf einem aktuellen, medizinisch-wissenschaftlich hohen Niveau wird Kontroll-, Prüf- und Zulassungsverfahren erleichtern, neue Möglichkeiten einer länderübergreifenden und bedarfsgerechten Patientenversorgung eröffnen und allen Mitgliedsstaaten und zuständigen Behörden eine verbindliche, einheitliche Orientierung und Grundlage für verstärkten Wissens- und Erfahrungsaustausch bieten.  

Anerkennung und Fortführung etablierter Prozesse

 SoHO-Tätigkeiten werden seit mehreren Jahrzehnten erfolgreich durchgeführt und sind für die Versorgung tausender Patient:innen von zentraler Bedeutung. Daher begrüßt die DGFG als Deutschlands größte Gewebeeinrichtung zur Versorgung der Bevölkerung mit Augenhornhäuten, Herzklappen, Blutgefäßen und Amnionmembranen (zukünftig SoHO-Präparate), dass auch in der neuen Verordnung etablierte, zugelassene und hoch kontrollierte Verfahren anerkannt und entsprechend fortgeführt werden können. Neurungen in diesem Zusammenhang stellen die Dokumentations- und Kommunikationstätigkeiten dar. So müssen künftig auch klinische Ergebnisse im Anschluss an eine Behandlung mit SoHO-Präparaten auf EU-Ebene registriert werden. Für alle SoHO muss stets eine Rückverfolgbarkeit (Artikel 32, 42) gewährleistet werden, welche zukünftig über den in Artikel 43 beschriebenen maschinenlesbaren einheitlichen Europäischen Code erfolgen soll. Die Sicherheit sowohl der SoHO-Spendenden als auch -Empfangenden ist stets das oberste Gebot. 

Keine tiefgreifenden Veränderungen für Gewebeeinrichtungen in Deutschland

Aufgrund der in Deutschland bereits seit vielen Jahren existierenden sehr hohen Qualitäts- und Sicherheitsstandards sieht die DGFG für Gewebespendeeinrichtungen (SoHO-Einrichtungen) und Gewebebanken (SoHO-Betriebsstätten) hierzulande keine tiefgreifenden Veränderungen, welche etablierte Prozesse und Strukturen gefährden könnten. In der Dokumentation und Kommunikation wird es Umstellungen geben, da alle SoHO-Tätigkeiten auch auf EU-Ebene melde- und kontrollpflichtig werden. Die DGFG geht jedoch davon aus, dass die ohnehin bereits vollzogenen Dokumentationen und Protokollierungen auch über die neuen Dokumentations- und Meldewege im Arbeitsalltag schnell adaptiert werden können.

EU-Plattform und Meldepflichten fördern Transparenz und Kommunikation

 Eine wesentliche Neuerung ist die vorgesehene Einführung einer digitalen SoHO-Plattform (Artikel 73, 74), welche die Kommunikation erleichtern und die Transparenz und das Vertrauen in die Spende, Verarbeitung, Lagerung und Verteilung von SoHO fördern kann. Zukünftig müssen sich alle SoHo-Einrichtungen auf der SoHO-Plattform registrieren und alle SoHO-Tätigkeiten melden. Hierzu zählen die Registrierung von SoHO-Spender:innen, die Gewinnung, Verteilung, Einfuhr, Ausfuhr und Verwendung beim Menschen (Artikel 41). Die allgemeine Öffentlichkeit und letztlich alle SoHO-Spendenden und SoHO-Empfangenden haben das Recht und demnächst auch die Chance zu erfahren, was mit den SoHO in der EU geschieht (Artikel 33). In den 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union leben knapp 450 Millionen Menschen. Auf der EU SoHO-Plattform wird eine Fülle an Datensätzen zusammenkommen, die Ausgangsbasis neuer medizinisch-wissenschaftlicher Studien sein können. Die EU schafft mit der SoHO-Plattform die technische Basis, dieses immense Potential zugänglich und nutzbar zu machen. Auch die Möglichkeit für die Behörden aller Mitgliedstaaten, über die SoHO-Plattform in einen stärkeren Austausch zu gehen, wird Innovationen und schnellere Zulassungsverfahren fördern (Artikel 12, 18-20, 38, 39).  

Leitlinien aus EDQM und ECDC setzen rechtlichen Rahmen fest

Neu ist die verpflichtende Umsetzung der Leitlinien des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) und des Europäischen Direktorats für die Qualität von Arzneimitteln und Gesundheitsfürsorge (EDQM), welche fortan als Instrumente zur technischen Umsetzung der SoHO-Verordnung dienen sollen. Damit verweist die SoHO-Verordnung für technische und inhaltliche Vorgaben für SoHO-Tätigkeiten auf die bereits etablierten und bewährten Institutionen ECDC und EDQM, ohne weitere Regularien vorzugeben – ein neuer Mechanismus nach dem intelligenten Prinzip der klaren Aufgaben- und Kompetenzverteilung. Leitlinien der einzelnen Mitgliedstaaten können jedoch weiterhin angewandt werden, wenn sie mit den in der Union anerkannten Leitlinien im Einklang stehen und wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen. Diese nationalen Leitlinien können auch strenger ausfallen als in der SoHO-Verordnung vorgesehen (Artikel 4). Damit wird allen SoHO-Einrichtungen, -Betriebsstätten und Behörden ein einheitlicher Rechtsrahmen zur Umsetzung der SoHO-Verordnung geboten, der für mögliche Erweiterungen oder Ergänzungen auf nationaler Ebene offenbleibt. So werden veraltete nationale Vorgaben auf ein aktuelles, hohes Niveau angehoben und die Qualitäts- und Sicherheitsstandards in der EU gefördert. Eine besondere Rolle wird in diesem Zuge das neue SoHO-Koordinierungsgremium spielen (Artikel 68, 69), welches die Mitgliedstaaten insbesondere bei der Durchführung der Verordnung unterstützen wird. Behörden in den Mitgliedstaaten können zudem auch externe Organisationen nach entsprechender Meldung bei der zuständigen Behörde mit der Überwachung der Durchführung der SoHO-Verordnung beauftragen (Artikel 9), was Behörden im Zweifel entlasten kann.

Verantwortlichkeiten und Aufgaben klar festgelegt

Insgesamt legt die SoHO-Verordnung die jeweiligen Verantwortlichkeiten und Aufgaben klar und eindeutig fest. Dadurch haben alle beteiligten Akteure die Möglichkeit, stets den richtigen Ansprechpartner zu finden. Diese klare Zuteilung der Verantwortlichkeiten und Aufgaben fördert die Verbindlichkeit und Umsetzung der neuen Verordnung. Während eine oder mehrere Behörden in den Mitgliedstaaten (Artikel 5-8) zur Überwachung der Einhaltung der SoHO-Verordnung zuständig sind und öffentlich einsehbar gelistet werden müssen, wird es zukünftig pro SoHO-Einrichtung auch eine Verantwortliche Person (Artikel 36) geben, welche seitens der SoHO-Einrichtung für die Einhaltung der SoHO-Verordnung zuständig ist.

Freiwillige, unentgeltliche Spende und Verbot von Gewinnerzielungsabsichten mit SoHO unerlässlich

 Ebenfalls zu begrüßen ist die klare Positionierung und Vorgabe einer freiwilligen und unentgeltlichen Spende (Artikel 53) und die Unterbindung finanzieller Anreize (Artikel 54), die über eine Aufwandsentschädigung hinausgehen. Die Spende von SoHO ist altruistisch und darf nicht aus finanziellem Interesse heraus erfolgen. Grundsätzlich darf mit SoHO keine Gewinnerzielungsabsicht verfolgt werden. Hierfür stützt die SoHO-Verordnung auf Artikel 3 zum Recht auf Unversehrtheit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, welcher Gewinnerzielung mit dem menschlichen Körper oder Teilen davon untersagt.  

Spende bleibt Herausforderung der Mitgliedstaaten

 Was die SoHO-Verordnung kaum beeinflussen kann, ist die Spende von SoHO in den Ländern der EU. Auch wenn die Spende die Basis aller daran angeschlossenen SoHO-Tätigkeiten ist, bleibt sie die große Herausforderung unter Verantwortung der einzelnen Länder. Während die Gewebespende seit vielen Jahren eine positive Entwicklung vollzieht, hat Deutschland mit Engpässen insbesondere in der Versorgung mit Herzklappen, Blutgefäßen und Blutspenden zu kämpfen. Im Bereich der Organspende ist die Spende und Versorgungssituation noch dramatischer, was die Verfügbarkeit der überwiegend aus der Organspende gewonnenen humanen Herzklappen limitiert. Hier kann die SoHO-Verordnung nur das Vertrauen der Bevölkerung in die altruistische Spende, deren weitere Verarbeitung und Abgabe hoch reguliert und kontrolliert ist, stärken.

Fazit: SoHO-Verordnung mit Offenheit und Pragmatismus begegnen

Die Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union erfolgte am 17.07.2024. Damit ist die SoHO-Verordnung in Kraft getreten und muss binnen drei Jahren ihre verbindliche Anwendung in der Praxis finden. Bis dahin haben alle betroffenen Akteure Zeit, sich auf die neuen Registrierungs-, Dokumentations- und Kommunikationsschritte vorzubereiten. Diese Zeit sollte für einen offenen Austausch und Hilfe untereinander, auch unter Einbezug der Behörden, genutzt werden. Nur im aktiven, kontinuierlichen Austausch kann eine Verordnung vom Papier in die gelebte Praxis übertragen und richtig angewandt werden. Die Umsetzung wird mit Lernkurven verbunden sein, welche von allen beteiligten Akteuren Offenheit und einen hohen Pragmatismus erfordert.

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