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Kehrtwende in der Debatte um das Online-Register für die Gewebespende

Bezugnahme zur Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Fraktion CDU/CSU betreffend der „Sicherstellung der Gewebespende und Patientenversorgung mit Gewebetransplantaten“ – BT-Drs. 20/9513

Hannover, 05.01.2023 – Im ersten Quartal 2024 soll das Online-Register für Erklärungen zur Organ- und Gewebespende (OGR) an den Start gehen. Nun bezieht die Bundesregierung Stellung und beantwortet die bislang ungeklärten Fragen in puncto Umgang mit dem Online-Register zur Sicherstellung der Gewebespende und Patientenversorgung mit Gewebetransplantaten. Dabei kommt es zu einer erfreulichen Kehrtwende für Gewebeeinrichtungen: „Nach Auffassung des BMG stehen einer Benennung von externen, bei Gewebeeinrichtungen angestellten Ärztinnen und Ärzten als abrufberechtigt grundsätzlich keine rechtlichen Gründe entgegen“, so die Bundesregierung. Es ist der Bundesregierung ein Anliegen, „dass auch nach dem geplanten Betriebsstart des Registers […] jede mögliche Gewebespende realisiert werden kann, sofern eine entsprechende Spendebereitschaft besteht.“

„Nach mehreren Monaten intensiver Gespräche mit dem Ministerium, diversen Fachgesellschaften, Ärzt:innen, Transplantationsbeauftragten, Gesundheitsminister:innen und Bundestagsabgeordneten wurde nun ein gemeinsamer Weg eingeschlagen, der für Gewebeeinrichtungen eine echte, praxistaugliche Perspektive darstellt“, sagt Martin Börgel, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Gewebetransplantation (DGFG). Bis zuletzt war man der Annahme, dass ausschließlich Klinikangestellte nach § 2a Abs. 4 TPG als abrufberechtigte Personen – kurz APK – OGR-Abfragen tätigen dürften.

Das Signal von Bundesregierung und Bundesgesundheitsministerium (BMG) ist positiv. Jedoch hat die organisatorische Arbeit für Gewebeeinrichtungen damit gerade erst begonnen. Ein praxistauglicher OGR-Zugriff für Gewebeeinrichtungen muss in den kommenden Monaten gemeinsam mit BMG und BfArM weiter ausgearbeitet werden. Denn zunächst erfordere ein Registerzugriff eine physische Präsenz in den Kliniken: Dem Positionspapier der Bundesregierung zufolge könnten Ärztinnen und Ärzte externer Gewebeeinrichtungen über Entnahme-Krankenhäuser als APK benannt werden. Für eine OGR-Abfrage müssten sie dann die entsprechenden Terminals in den Kliniken persönlich aufsuchen. Denn eine OGR-Abfrage könne momentan ausschließlich in einer an die Telematikinfrastruktur (TI) angebundenen Krankenhausumgebung erfolgen. Externe Gewebeeinrichtungen sind bislang nicht an die TI angeschlossen. Man wolle nun aber gemeinsam mit dem BfArM nach anwendungsfreundlichen Lösungen schauen, die im Einklang mit einer klinik- und standortunabhängigen OGR-Abfrage für mehr Flexibilität und Schnelligkeit im zeitempfindlichen Spendeprozess stehen. „Im heutigen digitalen Zeitalter sollte es nicht mehr nötig sein, persönlich in eine Klinik zu gehen, um ein Register online abzurufen. Ich bin mir sicher, hier werden wir zukünftig moderne, nutzerfreundliche Lösungen finden, die genauso datenschutzkonform geregelt sind“, sagt Martin Börgel.

Fünf bis maximal zehn Minuten benötigen abrufberechtigte Personen für einzelne Abfragen im Register, so die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme. Man sollte meinen, es handele sich hierbei um einen überschaubaren zeitlichen Aufwand für eine Abfrage, die sowohl für die Organ- als auch die Gewebespende mit Registerstart verpflichtend ist. Überträgt man diesen geschätzten Zeitaufwand auf die tatsächlich abzufragenden Fälle in der Gewebespende, wird allein die DGFG im kommenden Jahr bei mehr als 30.000 potentiellen Spender:innen umgerechnet sieben Stunden pro Tag für OGR-Abfragen aufwenden müssen – Tendenz steigend. Allein in 2023 erhielt die DGFG mehr als 50.000 Spendermeldungen[1]. Die Entwicklung der Gewebespende befindet sich weiter auf Erfolgskurs und immer mehr Kliniken und außerklinische Einrichtungen, wie zum Beispiel Bestattungsinstitute, Hospize oder Pflegeeinrichtungen, melden der DGFG potentielle Gewebespender:innen.

„Die DGFG begrüßt diese neue Gesetzesauslegung durch das BMG sehr. Schließlich erhalten die behördlich gemeldeten Gewebeeinrichtungen damit ebenfalls das Recht auf unmittelbaren Zugriff zu einer Information, die für den Spendeprozess von zentraler Bedeutung ist: dem dokumentierten Patientenwillen.“ Dabei müsste jedoch das in § 2a Abs. 4 TPG beschriebene Trennungsgebot für abrufberechtigte Personen sichergestellt werden. Da die Anzahl der APK unbegrenzt ist, kann dieser Bedingung, nach Auffassung der DGFG, seitens der Gewebeeinrichtungen nachgekommen werden. Dass APK für alle potentiellen Spender:innen, unabhängig von Ort des Versterbens und Art der Meldeeinrichtung, das OGR abfragen können, ist ebenfalls positiv zu bewerten. Somit können grundsätzlich auch Gewebespenden bei Verstorbenen in Kliniken, die keine Entnahme-Krankenhäuser nach § 9a TPG sind, oder die aus dem außerklinischen Bereich gemeldet werden, umgesetzt werden.

Um dem hohen Abfragevolumen an potentiellen Spender:innen besser gerecht werden zu können, würde die DGFG zudem die Erweiterung des APK-Kreises auf pflegerisches Personal begrüßen. Die DGFG realisiert von bundesweit 31 Standorten aus jährlich mehr als dreitausend Gewebespenden. Eine Vielzahl der 57 Gewebespendekoordinator:innen arbeitet dabei auf Klinikgeländen. Die Einrichtung eines Zugangs wäre somit technisch an vielen Standorten möglich. Viele Gewebespendekoordinator:innen sind aufgrund ihrer pflegerischen Ausbildung dazu berechtigt, ebenfalls einen elektronischen Heilberufsausweis (eHBA), die Zugangsvoraussetzung zum OGR-Terminal, zu beantragen. Diese Option würde die acht Ärztinnen und Ärzte der DGFG, welche standortübergreifend und ortsunabhängig die Gewebespenden beaufsichtigen und freigeben, zukünftig entlasten. Die Ausweitung des APK-Kreises erfordert, nach Einschätzung der DGFG, jedoch in der Tat eine Gesetzesanpassung.

„Wir sehen heute, mehr als vier Jahre nach der Anhörung im Bundesgesundheitsausschuss zum Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende, wie wichtig es gewesen wäre, bereits zu diesem Zeitpunkt eine Fachgesellschaft für Gewebespende mit einzubeziehen. Wir wünschen uns daher für die Zukunft, dass Gewebeeinrichtungen frühzeitig politischen Entscheidungs- und Abstimmungsprozesse beisitzen können. So haben auch wir die Chance, ein System mitzugestalten, das zur gelebten Spendepraxis passt und sie mehr fördert als, so wie bis zuletzt befürchtet, behindert“, hält Martin Börgel abschließend fest. „Die Gewebespende lief bis heute immer unter dem Radar und war bis dato ein blinder Fleck in Politik und Gesellschaft. Allein dafür haben sich die arbeitsintensiven, nervenaufreibenden letzten Monate gelohnt. Ich bin zuversichtlich, dass wir für die Gewebespende gestärkt aus dieser Debatte heraus in das neue Jahr starten werden.“

In den nächsten Wochen und Monaten werden die Gewebeeinrichtungen zusammen mit BMG, BfArM und weiteren Fachgesellschaften an der Ausgestaltung dieses eingeschlagenen Weges arbeiten müssen, um bis zum Registerstart einen reibungslosen und für alle Beteiligten sicheren Ablauf zu gewährleisten. Dabei erwartet die DGFG eine klare, öffentliche Kommunikation mit allen Beteiligten, um letzte Fragen zu klären und Handlungssicherheit zu schaffen. Auch dieser Aufwand wird sich lohnen. Schließlich hat ein Register zur Entscheidungsdokumentation das große Potential, den Angehörigen im möglichen Spendenfall Sicherheit in der Entscheidungsfindung zu bieten – vorausgesetzt, viele Bürgerinnen und Bürger nehmen dieses Angebot wahr und registrieren sich im OGR.

[1] DGFG veröffentlicht Jahreszahlen in der Gewebespende 2023.