Sie leisten zusammen mit Ihrem Team sehr viel Vorarbeit in der Gewebespende und sind damit sehr erfolgreich. Was ist dennoch die größte Herausforderung im Spendeprozess?
Zunächst ist es wichtig, das Thema Gewebespende bei jedem Todesfall auf dem Schirm zu haben. Dann folgt das medizinische Screening. Bei entsprechender Eignung schließt sich dann als besondere Herausforderung das Angehörigengespräch an. Denn hier müssen wir stets darauf achten, den richtigen Zeitpunkt, wenn es ihn denn überhaupt gibt, zu treffen. Kurz zuvor hat eine Familie einen geliebten Menschen verloren. In dieser Situation nach dem Willen der Verstorbenen zu einer Gewebespende zu fragen, ist nicht einfach. Dafür benötigt man Zeit, die in einem stressigen Klinikalltag nicht immer da ist. Dass wir dennoch so viele Gewebespenden Jahr für Jahr mit der DGFG realisieren können, freut mich daher umso mehr. Ich bin allen Mitarbeitern des Klinikums sehr dankbar, dass sie sich für die Patienten, die dringend eine Gewebespende benötigen, so aktiv einsetzen.
Was möchten Sie tun, um die Gewebespende am Klinikum weiter auszubauen?
Seitdem die DGFG mit einem Koordinationsstandort am Klinikum präsent ist, hat diese Sichtbarkeit der Gewebespende einen erneuten Aufschwung verliehen. Nun wollen wir gemeinsam insbesondere die Spende kardiovaskulärer Gewebe (KVG) intensivieren und das entsprechende Spenderscreening auf alle Klinikbereiche ausweiten, nachdem bisher nur die Intensivstationen einbezogen waren. Hierzu werden wir die Kolleginnen und Kollegen schulen, damit die entsprechenden medizinischen Ausschlussgründe, Zeitfenster und Abläufe für eine erfolgreiche KVG-Spende bekannt sind. Außerdem bin ich gerade dabei, das elektronische Formular für die Gewebespende mit dem Ziel zu überarbeiten, die Dokumentation noch einfacher und verständlicher zu gestalten.
Bei Ihnen in der Klinik liegt der Anteil an potenziellen Gewebespendern unter allen Verstorbenen bei zehn Prozent. Würde man diesen Anteil auf ganz Deutschland übertragen, hätten wir in 2021 über 100.000 potenzielle Gewebespender haben können. Weshalb haben wir noch immer einen Spendermangel?
In Bezug auf die Organspende sind die Wissenslücken bei den Menschen in unserem Land schon groß, über die Gewebespende wissen viele noch weniger. Erschwerend kommt hinzu, dass nach meinem Eindruck ca. 90 Prozent der Bevölkerung den Willen zur Organ- und Gewebespende nicht schriftlich festgehalten hat. Der Aufklärungsbedarf ist hoch. Was wir als Klinik dafür leisten können, versuchen wir bestmöglich umzusetzen, indem wir die Prozesse und Abläufe so effizient wie möglich strukturieren. Außerdem engagiere ich mich im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit für die bessere Aufklärung der Bürger unseres Landes.
Im März tritt das neue Gesetz zur „Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende“ in Kraft. Darin vorgesehen: das Organspenderegister. Was für Auswirkungen auf die Gewebespende können wir erwarten?
Sollte das Register kommen, befürchte ich, dass es viele Jahre dauern wird, bis es im Alltag auch wirklich relevant wird. Hier muss sicherlich noch die eine oder andere Formulierung geändert und angepasst werden, damit das Gesetz im Klinikalltag greift und für alle am Spendeprozess beteiligten Personen gut funktioniert – sowohl für die Organ- als auch die Gewebespende. Ein überreguliertes Vorgehen könnte im Zweifel eher hinderlich statt zuträglich sein.