Anders als Organe werden Gewebe wie Augenhornhäute, Herzklappen, Blutgefäße, Amnion (Plazenta) sowie Knochen, Knorpel, Bänder und Haut nicht unmittelbar der Empfängerin bzw. dem Empfänger übertragen, sondern zunächst in Gewebebanken zu Transplantaten aufbereitet.
Im Rahmen der 2.816 Gewebespenden konnte die DGFG 6.081 Gewebepräparate gewinnen. Mit rund 90 Prozent ist die Augenhornhaut dabei das am meisten gespendete Gewebe in 2020. 5.401 Augenhornhäute wurden in den elf Hornhautim bundesweiten Netzwerk der DGFG zu Hornhauttransplantaten aufbereitet. Sie verhelfen Patientinnen und Patienten zu mehr Sehleistung oder bewahren sogar vor dem Erblinden. Mit 3.984 vermittelten Augenhornhauttransplantaten stammt bei jährlich rund 9.000 durchgeführten Hornhauttransplantationen [1] deutschlandweit fast die Hälfte der Transplantate von der DGFG. Unter diesen waren 483 in der Gewebebank vorpräparierte Hornhautlamellen (LaMEK) für die Descemet Membrane Endothelial Keratoplasty (DMEK). Bei dieser Operationstechnik erholt sich die Sehfähigkeit der Patientinnen und Patienten sogar noch schneller: Hier wird nur die Lamelle, d. h. die ultradünne Schicht der Descemet-Membran mit Endothelzellen der Augenhornhaut ersetzt.
52 Lebend-Gewebespenden konnte die DGFG in 2020 realisieren. Zur Lebend-Gewebespende zählt die Spende der Plazenta und der darin enthaltenen Amnionmembran im Rahmen einer geplanten Kaiserschnittgeburt. In der Augenheilkunde kommt sie zur Behandlung der Hornhautoberfläche zum Einsatz und kann als AmnioClip-plus eingespannt in ein Ringsystem ähnlich wie eine Kontaktlinse auf das erkrankte Auge gelegt werden. 100 solcher Transplantate vermittelte die DGFG in 2020.
Die wundheilungsfördernden und antientzündlichen Eigenschaften der Amnionmembran machen sie auch für die Versorgung chronischer Wunden wertvoll. Innerhalb des DGFG-Netzwerkes berichten Anwender von ersten Erfolgen bei seit Jahren nicht heilender Wunden.
DGFG baut Spendeprogramm kardiovaskulärer Gewebe weiter aus
393 Mal spendete ein Mensch im vergangenen Jahr sein Herz mit den darin enthaltenen Pulmonal- und Aortenklappen. Darüber hinaus konnte die DGFG 267 Blutgefäße für die Aufbereitung zum Transplantat gewinnen. Diese kardiovaskulären Gewebe stammen zum Großteil aus der Organspende. Weil diese seit Jahren auf niedrigem Niveau stagniert, ist auch in 2020 der Anteil von Gewebespenden bei Organspenderinnen und -spendern mit elf Prozent des gesamten Spendeaufkommens bei der DGFG sehr gering. Dabei ist der Bedarf an Herzklappen und Blutgefäßen hoch: Entzündet sich eine künstliche Herzklappe- oder Gefäßprothese, kann die Transplantation humanen Spendergewebes Leben retten. Auch angeborene Herzfehler führen zu einem frühzeitigen Verschleiß der Herzklappen und erfordern meist eine Gewebetransplantation. Die DGFG intensiviert daher Programme zur Spende von Herzklappen und Blutgefäßen bei Herz-Kreislauf-Verstorbenen. Eine Entnahme dieser Gewebe ist noch bis zu 36 Stunden nach Todeseintritt möglich. 38 solcher Gewebespenden nach Herzkreislauf-Tod konnte die DGFG in 2020 realisieren – ein Plus um sieben Spenden im Vergleich zum Vorjahr.
Die Gewebespende – eine Gemeinschaftsaufgabe im Netzwerk der DGFG
Trotz des steten Ausbaus der Gewebespende und steigender Transplantatvermittlung herrscht in Deutschland noch immer ein Mangel an Gewebe, insbesondere an Augenhornhäuten, Herzklappen und Blutgefäßen. Dabei geht die DGFG davon aus, dass der Eigenbedarf an Gewebe in Deutschland gedeckt werden kann – ganz unabhängig von Importen aus dem Ausland. „Dies gelingt nur, wenn die Gewebespende weiterhin als Gemeinschaftsaufgabe verstanden wird. Hier spielt das Bewusstsein der Bevölkerung eine große Rolle, jedoch muss auch die Infrastruktur für eine nachhaltige Gewebespende gegeben sein“, macht Börgel deutlich.
Zu wenigen bekannt: Jeder Mensch könnte Gewebe spenden – im Falle der Augenhornhaut sogar bis zu 72 Stunden nach Todeseintritt. Zudem spielt die Hirntoddiagnostik bei der Gewebespende im Gegensatz zur Organspende keine Rolle. 87 Prozent der Gewebespenderinnen und -spender sind an einem Herz-Kreislauf-Stillstand verstorben. Somit ist die Zahl potenzieller Spenderinnen und Spender sehr groß: Von 986.000 Menschen verstarb der Großteil in 2020 an Herz-Kreislauf-Erkrankungen [2]. Auch viele Krebserkrankungen oder ein hohes Lebensalter schließen eine Gewebespende nicht zwingend aus. Fast 40 Prozent der postmortalen Gewebespenderinnen und
-spender war in 2020 älter als 75 Jahre.
Gemeinnützige DGFG stellt sich wachsender Nachfrage nach Gewebetransplantaten
Die DGFG fördert seit 1997 die Gewebespende und -transplantation in Deutschland. Auf Basis des Gewebegesetzes von 2007 sind alle Tätigkeiten und Ablaufprozesse der Gewebespende gesetzlich geregelt. Für alle Gewebezubereitungen gilt das Handelsverbot.
Zur Aufgabe der DGFG zählt die bundesweite Versorgung von Patientinnen und Patienten mit qualitativ hochwertigen Transplantaten. Auch in Zukunft werden immer mehr Menschen auf humanes Spendergewebe angewiesen sein. Nach wie vor treten im Zuge des demographischen Wandels viele Krankheitsbilder, die eine Gewebetransplantation als letzte Therapieoption erfordern, verstärkt auf und führen zu einer wachsenden Nachfrage. Die DGFG vermittelt ihre Transplantate über eine zentrale Vermittlungsstelle mit einer bundesweiten Warteliste. Jede medizinische Einrichtung in Deutschland kann Gewebe von der DGFG beziehen.
Als unabhängige, gemeinnützige Gesellschaft wird die DGFG ausschließlich von öffentlichen Einrichtungen des Gesundheitswesens getragen: Gesellschafter sind das Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden, das Universitätsklinikum Leipzig, die Medizinische Hochschule Hannover, die Universitätsmedizin Rostock sowie das Dietrich-Bonhoeffer-Klinikum Neubrandenburg. Die DGFG ist in ihrer Aufbaustruktur, der Freiwilligkeit der Unterstützung durch Netzwerkpartner und ihrer Unabhängigkeit von privaten oder kommerziellen Interessen einzigartig in Deutschland. In 2020 haben sich folgende Häuser dem bundesweiten Netzwerk angeschlossen: Friedrich-Ebert-Krankenhaus Neumünster, Evangelisches Krankenhaus Oldenburg, Krankenhaus Buchholz und Winsen, DIAKOVERE Verbund Hannover, Evangelisches BETHESDA Krankenhaus Duisburg und das Robert-Bosch-Krankenhaus Stuttgart.
[1] Ärzteblatt.de: Mehr als 9.000 Augenhornhauttransplantationen pro Jahr in Deutschland. Stand 07.06.2021 Zugriff unter https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/124448/Mehr-als-9-000-Augenhornhauttransplantationen-pro-Jahr-in-Deutschland
[2] Statistisches Bundesamt. Sterbefälle und Lebenserwartung. Zugriff am 16.06.2021 unter https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Sterbefaelle-Lebenserwartung/_inhalt.html;jsessionid=48BBF7D5A6C49BE0A50E69DD7B10D45A.live742