Gewebespende unter Corona: Herausforderung und Chance zugleich

Wir haben die ärztlichen Regionalleiter bei der DGFG, Sonja Tietz und Dr. med. Frank Polster gefragt, wie sie dieses besondere Jahr in der Gewebespende und der DGFG erlebt haben.

15 Monate Pandemie liegen mittlerweile hinter uns. Wie blickt ihr auf dieses vergangene Jahr zurück?

Frank: Die Anfangsphase war für uns alle unheimlich schwierig. Im März 2020 war noch völlig unklar, wie sich die Pandemie entwickeln wird und inwieweit sie die Gewebespende beeinträchtigen würde. Doch durch das hohe Engagement insbesondere unserer Koordinatorinnen und Koordinatoren, aber auch der Kliniken entspannte sich die Situation im Mai wieder allmählich. Wir haben über den gesamten Verlauf unsere Spendeprogramme weiter fortgeführt und hatten zwischenzeitlich sogar viel mehr Zustimmungen, als es vorher üblich war.

Dr. med. Frank Polster betreut als ärztlicher Regionalleiter die Regionen Ost und Nord-Ost in der Gewebespende.

Sonja Tietz ist ärztliche Regionalleiterin der Regionen Nord, Mitte, Bayern und Baden-Württemberg.

Wie könnt ihr euch den zeitweisen hohen Anstieg in der Zustimmung erklären?

Sonja: Wir beobachten hier zwei Phasen. Am Anfang hatte ich den Eindruck, dass es in der Bevölkerung insgesamt eine sehr große Solidarität und ein Verständnis dafür gegeben hat, dass Menschen krank sind und ihnen geholfen werden muss. Je länger jedoch die Pandemie andauert, umso häufiger erlebe ich an einigen Standorten, dass eine gewisse Müdigkeit eintritt. Dort, wo aufgrund von Besuchsverboten der Kontakt mit den älteren Angehörigen reduziert wurde und die Begleitung im Sterben fast unmöglich geworden ist, dort haben wir mittlerweile wieder eine niedrigere Zustimmungsrate. Der Abschied, der sonst in unserer Kultur gelebt wird, kann in der Art momentan nicht mehr stattfinden. Vor diesem Hintergrund sehen wir Schwankungen in den Zustimmungsraten in den verschiedenen Regionen.

Frank: Das ist wirklich erstaunlich: In Regionen, wo die Angehörigen bislang eher zurückhaltend waren und es weniger Zustimmungen gab, gab es ein deutliches Plus in der Spende. In anderen Regionen fiel die Zustimmung, wenn dort aufgrund von strengen Besucherregelungen die Distanz zu den Verstorbenen sehr groß war.

Sonja: Und um zu deiner Frage zurückzukehren, wie ich das Jahr so erlebt habe: Ich denke, man muss sehr flexibel auf neue Herausforderungen reagieren. Wir sind in der DGFG insgesamt sehr gut aufgestellt. Bereits im Vorfeld hatten wir angefangen, unsere gesamte Kommunikation im Unternehmen verstärkt auf elektronische Medien umzustellen. Wir sind dann durch die Pandemie im Umgang mit diesen Medien noch einmal sehr schnell gewachsen. Einerseits fehlen mir die persönlichen Kontakte. Gleichzeitig habe ich dank Microsoft Teams so manchen Mitarbeiter sehr viel öfter gesehen als sonst. Obwohl insgesamt unsere Arbeit schwieriger geworden ist, konnten wir die Kommunikation in der DGFG und mit Netzwerkpartnern geschmeidig halten.

Du hast die elektronische Kommunikation angesprochen. Wie hat sich Corona noch auf die Arbeit bei der DGFG ausgewirkt?

Sonja: Wir haben 15 Monate Pandemie mit Anwesenheitsarbeit in den Kliniken hinter uns und es gab bis heute nicht einen einzigen infizierten Mitarbeiter bei der DGFG. Das ist sicherlich ein Zeichen dafür, dass es gerechtfertigt ist, zwar mit Vorsicht, aber entspannt zu arbeiten. Corona ist etwas, das man auch im Griff haben kann, wenn man entsprechend damit umgeht.

Frank: Wir haben das Thema sehr früh mit unseren Mitarbeitern besprochen, Arbeiten aufgeteilt, Home Office verstärkt genutzt und Schutzmaßnahmen etabliert. Wir haben unser gesamtes Team auch für das Verhalten im privaten Bereich geschult. Hier herrscht eine sehr gute Vertrauensbasis bei der DGFG, die wichtiger Bestandteil unserer Unternehmenskultur ist.

Was hat sich in der Spende verändert?

Sonja: Die sonst so kurzen, unkomplizierten Wege in den Kliniken für eine Spende waren plötzlich lange, sehr viel kompliziertere Wege. Das ist gerade für unsere Koordinatorinnen und Koordinatoren eine große Herausforderung. Immer wieder kommt es in Kliniken zu Besuchsverboten, viele Intensivstationen sind sehr stark überlastet. Sich mit Angehörigen für ein persönliches Gespräch zusammenzusetzen, das ging nicht mehr so einfach. Solche Treffen brauchen nun einige Wochen Vorlauf.

Frank: Wir haben zudem die Spende stets an die lokalen Gegebenheiten in den einzelnen Regionen angepasst. Es war ein schwieriges Jahr mit sehr viel Mehrarbeit, viel mehr Recherche, um Spenden erfolgreich durchführen zu können, doch wir konnten die Spende sogar unter diesen schwierigen Bedingungen weiter ausbauen, das freut mich sehr.

Sonja: Unsere Spendekliniken sind zum Großteil Schwerpunktkliniken für die Behandlung schwerer COVID-Fälle. Andere Patienten werden daher umverlegt in Kliniken im Umland, die nicht immer auch in unserem Spendenetzwerk sind. Uns gelingt aber auch die Kompensation.