DGFG-Jubiläumstagung: 10 Jahre haben die Gewebespende verändert
Im Juni 2017 hat die Deutsche Gesellschaft für Gewebetransplantation zur DGFG-Jubiläumstagung eingeladen. Im Jahr 2007 trat das Gewebegesetz in Kraft. Im gleichen Jahr wurde die DGFG gegründet und von den drei Gesellschaftern Medizinische Hochschule Hannover (MHH), Universitätsklinikum Leipzig und Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden übernommen. 2015 kam die Universitätsmedizin Rostock als weiterer Gesellschafter dazu.
Am 22.-23. Juni 2017 tagten 65 Teilnehmer in Hannover. Sie reflektierten an zwei Tagen die Entwicklung der Gewebespende der vergangenen Jahre, zeigten aktuelle Entwicklungen der Gewebetransplantation auf und befassten sich mit Themen wie Transparenz und Gemeinnützigkeit der Gewebemedizin.
DGFG als gutes Beispiel für den Aufbau effektiver Strukturen für Gewebespende
Prof. Christopher Baum, Präsident und Präsidiumsmitglied für das Ressort Forschung und Lehre der MHH und Vertreter der Gesellschafter der DGFG, betonte in seiner Eröffnungsrede die besondere Bedeutung der Gewebemedizin aus Sicht der Universitätsklinika. Die DGFG ist mit ihren 23 Standorten sehr breit aufgestellt und kann heute die Gewebespende fast in ganzen Bundesgebiet abdecken. Das Netzwerk ist ein herausragendes Beispiel für die Zusammenarbeit von Spendeeinrichtungen, Gewebebanken und Transplantationszentren sowie den Aufbau einer flächendeckenden Infrastruktur. „Besonders wichtig ist die Verankerung der DGFG von Anfang an im gemeinnützigen Umfeld, um damit Unsicherheiten zu vermeiden“, sagt Prof. Baum. Zudem sorgt die DGFG durch ihren Jahresbericht, der nicht nur Leistungszahlen, sondern auch betriebswirtschaftliche Zahlen enthält, für entsprechende Transparenz.
Der Bedarf an hochwertigen und bezahlbaren Gewebepräparaten besteht nicht nur heute, sondern auch in Zukunft. Hier gibt es Wachstumspotenzial, besonders im Bereich der innovationsgetriebenen Hochschulmedizin. Die Universitätskliniken, insbesondere auch die MHH, agieren im öffentlichen Interesse und behandeln Menschen, die sehr schwer erkrankt sind. Als eines der größten Transplantationszentren ist die MHH nicht nur in Deutschland, sondern in einigen Disziplinen auch weltweit führend. Universitätsmedizin ist forschungsgetrieben. Sie sucht nach Innovationen, deshalb ist die DGFG mehr als ein Partner, der nur Gewebe bereitstellt.
Aus dieser Zusammenarbeit sind zukunftsweisende Projekte entstanden. Ein gutes Beispiel ist die Studie ESPOIR und ARISE zur Herstellung und zum Einsatz von Herzklappen aus dezellularisierten Gewebe. Voraussetzung ist die Herzklappenspende. Bei dezellularisierten Herzklappen wird nur die reine Matrix übertragen, die keine Zellen mehr hat. Sie kann vom Empfängerorganismus besiedelt werden. Auch der Einsatz von allogenen Knorpel- und Knochengewebe ist eine denkwürdige Alternative zum künstlichen Gelenkersatz. Im Bereich der Verbrennungsmedizin sucht die DGFG gemeinsam mit der Klinik für Plastische, Ästhetische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie der MHH Ansätze für die Verwendung frischer Hauttransplantate zur Versorgung schwerstbranntverletzter Patienten. Die aktuelle Indikationserweiterung für die Anwendung der Ammnionmembran weit über die Ophthalmologie hinaus, eröffnet neue Anwendungsgebiete für Amnion. Die Zukunft der Gewebemedizin liegt in der Anwendung funktionalisierter Gewebe auch im Hinblick auf Arzneimittel für neuartige Therapien. Die DGFG ist ein gutes Beispiel dafür, was in den vergangenen zehn Jahren im Bereich der herkömmlichen Gewebespende schon geleistet wurde. Die Universitätsmedizin kann viel von deren Strukturen lernen und gleichzeitig viel anbieten, was der DGFG weiterhilft.
Versorgung mit Gewebetransplantaten im Nordosten gesichert
Wolfgang Gagzow, Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft Mecklenburg-Vorpommern, ging auf die Situation der Gewebespende im Nordosten ein. Mecklenburg-Vorpommern (MV) ist bei der Hornhautspende eines der führenden Bundesländer – bedingt durch das gute Zusammenwirken aller Beteiligten, der Krankenhäuser und der DGFG. In MV ist die Zahl der Transplantationen seit 2014 um über 50 Prozent angestiegen. Auch wenn die Versorgung mit Hornhauttransplantaten in MV sichergestellt ist, liegt der Versorgungsgrad mit Gewebetransplantaten auf ganz Deutschland bezogen unter 100 Prozent. Die in Deutschland geltende Entscheidungslösung mit regelmäßiger Information der Bürger sensibilisiert für die Organ- und Gewebespende. Sie stellt sicher, dass sich Menschen Gedanken über das Thema machen. „Die Widerspruchslösung erscheint auf den ersten Blick attraktiv, bietet dann aber doch nicht die Sicherheit, dass sich Menschen mit dem Thema beschäftigt haben“, sagt Gagzow. Es gibt in Deutschland etwa 50.000 Gewebetransplantationen pro Jahr. Zwei Drittel aller Verstorbenen sind potenzielle Gewebespender. Bei 850.000 Verstorbenen pro Jahr, ist die Versorgung in Deutschland bei guter Organisation ohne Probleme möglich. Netzwerke, wie das der DGFG, bringen optimale Kooperationsmöglichkeiten für alle Beteiligten. Gemeinsam mit der DGFG konnten die Krankenhäuser die Gewebespende in MV stabilisieren und verbessern. Damit ist das Bundesland im Nordosten bei der Gewebespende eine der erfolgreichsten Partnerregionen der DGFG.
Widerspruchslösung ist nicht die Lösung für alle Probleme der Organ- und Gewebespende
Dr. Simone Hennerbichler-Lugscheider vom Österreichischen Roten Kreuz bezeichnete die in Deutschlang gültige Entscheidungslösung als schlüssigere Variante. In Österreich gilt im Gegensatz zu der in Deutschland bestehenden Entscheidungslösung, die Widerspruchslösung. „Österreich kann eher von Deutschland lernen als umgekehrt“, sagt sie. In Europa gelten bezüglich der Einwilligung zur Organ- und Gewebespende ganz unterschiedliche Systeme. Entweder muss man einer Spende explizit zustimmen oder ihr, wie bei der Widerspruchslösung, widersprechen. Ohne Widerspruch gilt jeder Verstorbene als Spender. In manchen Ländern wird dennoch nachgefragt, ob ein Spende im Wille des Verstorbenen war. In Österreich wird allerdings nur auf den dokumentierten Widerspruch geprüft. Wenn kein Widerspruch vorliegt, kann eine Gewebespende stattfinden.
Rechtsgrundlage der Gewebespende in Österreich bildet das Gewebesicherheitsgesetz. Ein Widerspruch muss laut Organtransplantationsgesetz schriftlich oder mündlich erfolgen. Das kann die Eintragung im Widerspruchsregister sein, eine mitgeführte schriftliche oder auch eine gegenüber Angehörigen geäußerte mündliche Willensbekundung. Im Gegensatz dazu nennt das Gewebesicherheitsgesetz – etwas anders formuliert – nur den schriftlichen Widerspruch mit Eintragung im Widerspruchsregister. Das Widerspruchsregister wurde 1995 eingeführt und betrifft Organ, Zell- und Gewebespenden. Zuständig für Administration und Registrierung ist das Österreichische Bundesinstitut für das Gesundheitswesen. Eine Person, die sich registrieren möchte, muss dafür ein Formular ausfüllen und unterschrieben an das Widerspruchsregister schicken. Eine Streichung oder eine organ- oder gewebespezifische Differenzierung ist jederzeit möglich. Bei allen post-mortem-Spenden erfolgt durch den Transplantkoordinator oder das Entnahmeteam eine Abfrage des Registers. Es gibt eine Abfragenummer zu dieser Widerspruchsabfrage. Diese ist in der Spenderakte zu dokumentieren und gilt als Beweis, dass eine Abfrage stattgefunden hat. 2015 lebten 8,7 Millionen Menschen in Österreich. Im Widerspruchsregister sind nur 36.625 Menschen, also etwa 0,42 Prozent der Bevölkerung eingetragen.
Durch die geringe Widerspruchsrate gibt es einen potenziell großen Spenderpool. Der Zeitaufwand für die Spendenaquise ist gering, da nur mit einem Telefonat geprüft werden muss, ob ein Widerspruch vorliegt. Rein pragmatisch, können Ärzte auf diese Weise die meisten Organe und Gewebe entnehmen. Das ethische Dilemma bleibt: Ist das Nichteintragen tatsächlich als Eiverständnis zu einer Gewebespende zu werten? Das Problem besteht darin, dass die österreichische Bevölkerung nicht weiß, wie die Lösung funktioniert. „Manche glauben, es ist die gleiche Situation wie in Deutschland, wo eine eindeutige Zustimmung vorliegen muss“, sagt Dr. Hennerbichler-Lugscheider. Hier besteht großer Aufklärungsbedarf.
Gemeinnützige Einrichtungen brauchen transparente Strukturen
Martin Börgel, Geschäftsführer der DGFG, hat den Aspekt der Finanzierung der Gewebemedizin beleuchtet. „Die DGFG steht seit ihrer Gründung für gemeinnützige Strukturen in der Gewebespende“, sagt Börgel. Gemeinnützigkeit bedeutet in erster Linie Befreiung von der Gewerbe- und Körperschaftssteuer. Aber die Anerkennung der Gemeinnützigkeit hat vor allem eine Außenwirkung. Es gibt zudem eine Überprüfung der Geschäftsführung mit den Vorschriften des Gemeinnützigkeitsrechts. Die Gesellschafter der DGFG haben kein Recht, in das Kapital und das Vermögen einzugreifen. Dieses darf ausschließlich zu Satzungszwecken, zur Förderung und Weiterentwicklung der Gewebespende, verwendet werden.
Wettbewerb mit anderen gemeinnützigen Organisationen ist nicht möglich. Falls ein Dritter in diesem Bereich kommerziell agiert, stellt der Gesetzgeber die Gemeinnützigkeit in diesem Bereich in Frage. In der Realität sieht es jedoch manchmal anders aus. Gemeinnützigkeit ist, was die Schaffung von Arbeitsplätzen und Standortentwicklung betrifft, ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Es gibt ein Verbot der Querfinanzierung. Wenn ein normales und ein gemeinnütziges Unternehmen besteht, dürfen sich Einnahmen und Tätigkeiten in beiden Bereichen nicht vermischen. Die Rücklage von Mitteln darf nur für satzungsgemäße Zwecke erfolgen, z.B. bei der DGFG für Projekte, die die Entwicklung der Gewebemedizin verfolgen.
Die DGFG bekommt keine öffentlichen Zuschüsse. Sie muss alle Kosten selbst erlösen. Transparenz ist dabei ein Selbstverpflichtungsprinzip. Dem kommt seit 2004 die DGFG als einzige Gewebeeinrichtung in Deutschland mit der Veröffentlichung des Jahresberichts auch mit betriebswirtschaftlichen Auskünften nah. „Es kann aber nicht sein, dass sich die DGFG dieser Selbstverpflichtung stellt, alle anderen Einrichtungen dieser Transparenz aber nicht folgen“, kritisiert Börgel. „Es geht nicht, dass eine Einrichtung vorangeht und das Vertrauen in die Gewebemedizin aufbaut und alle anderen segeln in deren Windschatten.“ Es kann nicht sein, dass es Privatpersonen gibt, die eine gemeinnützige Firma haben, nur dass sie diesen Vorgaben Rechnung tragen. Die Herstellung und Abgabe von Gewebezubereitungen ist nicht mit einer normalen Firma zu vergleichen. Diese dürfen nicht gewinnbringend gehandelt werden. Fördermittel sind hingegen meist an die wirtschaftliche Verwertbarkeit der Ergebnisse gebunden. Das Problem ist weder in der EU-Direktive noch im Gewebegesetz ausreichend berücksichtigt worden. Auch wenn Gewebespende in den altruistischen Bereich gehört, bringt Forschungs- und Innovationsforschung fast zwingend eine Kommerzialisierung mit sich. Die Frage ist, wie der Bereich der Spendergewinnung nachhaltig im altruistisch-gemeinnützigen Bereich verankert werden kann. Doch muss das mittelfristig auch für die Prozessierung von Geweben gelten? Aufgrund fehlender Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten können künftig manche Entwicklungen in diesem Bereich kaum vorangebracht werden.
Klinikärzte müssen auch die Gewebespende ansprechen
Die Zusammenarbeit bei der Organspende war Thema von Dr. Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO). Die DSO ist als Koordinierungsstelle für die Organspende in Deutschland den Verstorbenen verpflichtet, deren Willen zu erfüllen. Das bedeutet aber auch, nach einer Organ- und Gewebespende zu fragen. Die Einholung der Einwilligung sowohl für Organ- als auch Gewebespende soll einzügig erfolgen. DSO-Mitarbeiter sind allerdings nur an 20 Prozent der Einwilligungsgespräche beteiligt. Die übrigen Gespräche erfolgen durch Ärzte in den Krankenhäusern. Die von der DSO verfasste „Verfahrensanweisung zur Organspende“ gibt den Klinikärzten Orientierung und geht auch auf die Gesprächsführung ein. Durch einen Abschnitt für die Frage nach der Gewebespende, sollen Ärzte auch an die Gewebespende denken. Die DSO leitet für eine Gewebespende relevante Informationen an Gewebeeinrichtungen weiter. Hat das Entnahmekrankenhaus einen Kooperationsvertrag mit einer Gewebebank, kann die DSO diese ohne Probleme informieren. In der Realität haben aber die meisten Krankenhäuser keine Verträge mit Gewebebanken. Hier darf die DSO nicht eine beliebige Gewebeeinrichtung benachrichtigen. „Hier müssten wir alle ansprechen, aber das ist logistisch nicht möglich“, sagt Dr. Rahmel. Deshalb sieht die DSO in einer gemeinsamen Telefonnummer aller Gewebeeinrichtungen eine ideale Lösung. Heute kommt es bei etwa einem Drittel der Organspender auch zu einer Gewebespende. Umgekehrt müssen aber auch Gewebeeinrichtungen an die DSO melden, wenn sie Gewebe entnehmen. Das ist nötig, um bei schwerwiegenden Ereignissen schnell Informationen austauschen zu können. DGFG und DSO informieren sich regelmäßig gegenseitig.
Solidarität im Sinne christlicher Nächstenliebe
Das Spannungsfeld zwischen Altruismus und Kommerzialisierung führt nicht nur in der Gewebespende, sondern generell im Gesundheitswesen zu Diskussionen. Medizinethiker Prof. Dr. mult. Eckhard Nagel näherte sich dem Thema mit Begriffen wie Solidarität und Vertrauen.
Der Öffentlichkeit sind Schwierigkeiten im System schwer zu vermitteln, da dann sofort das Gefühl entsteht, hier stimmt etwas nicht. „Da muss doch jemand was dran verdienen“, ist eine nicht selten anzutreffende Kritik der Bevölkerung. Dieses Problem hat für die Organ- und Gewebespende eine zentrale Bedeutung. Jeder weiß, dass Organhandel verboten ist, dass ein Gewebe nicht verkauft werden kann, wie auf einem Basar. Allen ist klar, dass weder an Organ- noch an Gewebespende kommerzielle Interessen verknüpft werden können. Dennoch gibt es Unsicherheiten. Die Erwartungshaltung ist, dass Gesetze Eindeutigkeit erzeugen, was bei sehr komplexen Zusammenhängen nicht immer der Fall ist. Dennoch: der Handel mit Gewebe ist verboten. Klar ist auch, dass Leistungen die erbracht werden, auch refinanziert werden müssen. Rudolf Pichlmayr, ein Pionier der Transplantationsmedizin, war der Überzeugung, dass Ärzte, die Organe entnehmen, kein Entgelt dafür bekommen sollen. Am Anfang der Organspende gab es keinen Lohn. Es galt als ethisch höchst fragwürdig, wenn Ärzte sich für das Geschenk einer Spende bezahlen lassen. Heute herrscht Akzeptanz darüber, dass diejenigen, die etwas einbringen, auch dafür entlohnt werden müssen. Die Gesellschaft vertraut darauf, dass das heute einzig wirklich funktionierende Anreizsystem ein finanzielles ist; dass Menschen nur dann etwas tun, wenn sie auch etwas dafür kriegen – das Prinzip des Homo economicus. „Der Mensch fokussiert aber nicht nur auf Gewinnerzielung“, sagt Prof. Nagel. Studien belegen das er sehr wohl auch Gewinn erzielen kann, wenn er anderen hilft.
„Mir haben schon Menschen gesagt, Sie dürfen gerne meine Organe verkaufen. Wenn ich noch was davon abhaben könnte, umso besser,“ erzählt Prof. Nagel. Für viele Menschen ist es im Alltag nicht sofort ersichtlich, warum ein Gewebe- oder Organspender keinen Vorteil von seiner Gabe haben darf. Das Wort Altruismus ist aufgrund unserer christlichen Tradition ein starkes Momentum unserer Werteorientierung. Aber in einem Alltag, in dem alles unter finanziellen Gesichtspunkten besprochen und geklärt wird, kommt es automatisch zu dieser Frage. Die Verwerfungen, die durch ökonomische Beziehungen gerade in einer solchen Situation entstehen, bedeuten eine elementare Gefahr für menschliche Lebensbeziehungen. Dieses Problem trifft die Medizin generell. Umso wichtiger ist Transparenz und Nachvollziehbarkeit – in leicht verständlicher Form.
In dieser Situation ist der Begriff Solidarität besser geeignet als das Wort Altruismus. In der alten christlichen Tradition der Nächstenliebe entsteht eine neue Form der Gemeinsamkeit, indem Menschen füreinander einstehen, wenn jemand Hilfe braucht oder Menschen etwas geben, was sie nicht brauchen.
Jede Missbrauchsmeldung führt zu einer sinkenden Bereitschaft zu spenden. Es bleibt für alle Beteiligten die Herausforderung, glaubhaft zu machen, dass es wirklich um die Patienten geht. Gesundheitsversorgung wurde zur Gesundheitswirtschaft. Das Gesundheitssystem wird vor allem aus ökonomischen Gründen bewertet, das existierend Gute wird kaum dargestellt. Das macht bedenklich. Was fürs Leben schlecht ist, ist für die Ökonomie gut. Das kann nicht funktionieren. Es muss Lebensbereiche geben, die anderen ökonomischen Rahmenbedingungen folgen. Das Gesundheitswesen und die Gewebespende im speziellen sind dafür ein gutes Beispiel. Dann werden die Menschen bereit sein, Organe und Gewebe zu spenden und auch den Akteuren ihr Vertrauen zu schenken. Und denen muss klar sein, dass sie damit keine exorbitanten Gewinne erzielen dürfen.
Dezellularisierte Herzklappen haben deutliche Vorteile
Neue Verfahren verändern die Gewebemedizin nachhaltig. Prof. Dr. Samir Sarikouch aus der Herz-, Thorax- und Transplantationschirurgie der MHH verdeutlichte die Vorteile der Transplantation von dezellularisierten Herzklappen, die an der MHH entwickelt wurden. Heute erfolgt die Herstellung der Herzklappen durch corlife, eine private Ausgründung. Ziel ist es, die Herzklappen bundesweit Patienten zur Verfügung zu stellen. Zu der von der Europäischen Union geförderten ESPOIR-Studie zum Einsatz dezellularisierter Herzklappen hat die DGFG mit mehr als der Hälfte der transplantierten Herzklappen beigetragen. Fast 400 dezellularisierte Herzklappen wurden bisher europaweit transplantiert. Die Sterblichkeit von 1,6 Prozent ist überragend niedrig. Der Einsatz dieser Herzklappen weist auch im 10-Jahres-Vergleich deutliche Vorteile gegenüber herkömmlichen Ersatzverfahren auf. Nach mehreren Jahren sind die implantierten Klappen in bestimmten Fällen kaum noch als transplantierte Herzklappe erkennbar. Die Rebesiedelung mit körpereigenen Zellen funktioniert hervorragend. Der Einsatz dezellularisierter Herzklappen bedeutet damit nicht nur eine zusätzliche Option für Patienten mit angeborenen Herzfehlern, sondern auch für Patienten mit stark eingeschränkter Herzfunktion. Die Herzklappen sind auch für Frauen mit Kinderwunsch hervorragend geeignet.
Laut Herzbericht hat sowohl die Sterbeziffer an Herzklappenerkrankungen als auch die Anzahl der chirurgischen Herzklappeneingriffe in den vergangenen zugenommen. Bei etwa 2 bis 3 Prozent der Patienten mit einem Aortenklappeneingriff besteht die Indikation für eine humane Spenderherzklappe. Das entspricht etwa 500-750 menschlichen Aortenklappen pro Jahr.
Lamelläre OP-Techniken haben die Hornhauttransplantation radikal verändert
In den vergangenen zehn Jahren haben sich lamelläre Transplantationstechniken der Augenhornhaut weiterentwickelt. Diese Innovationen der Augenheilkunde waren Thema von Dr. Silke Wahl von der Knappschaftsgewebebank Sulzbach. Lamelläre Transplantationen der Augenhornhaut sind im Gegensatz zur Transplantation der gesamten Hornhaut deutlich schonender. Bei der DMEK, der am häufigsten angewandten Operationstechnik, tauscht der Arzt nur die innere Schicht der Hornhaut aus. „Dazu bringt er die Spenderlamelle durch einen winzigen Schnitt eingerollt in das Auge ein, rollt sie aus und fixiert sie mit einer Luftblase“, erklärt Dr. Wahl. Die Sehfähigkeit der Patienten verbessert sich bei einer DMEK-OP deutlich schneller als bei herkömmlichen Verfahren. Ärzte präparieren die Hornhautlamelle überwiegend unmittelbar im OP. Dabei kann die Augenhornhaut allerdings einreißen. Für die Präparation gibt es verschiedene Methoden. Prof. Peter Szurman am Knappschaftsklinikum Saar hat die schonende Liquid Bubble Methode entwickelt. Dabei wird die Lamelle mittels einer eingespritzten Flüssigkeit abpräpariert. Das Verfahren dauert weniger als drei Minuten und ist damit deutlicher schneller als andere Verfahren. Es gilt als sicher und Einrisse der Hornhaut sind äußerst selten. Vorpräparierte Hornhautlamellen kommen aus der Gewebebank Hannover und der Knappschaftsgewebebank Sulzbach. Die Transplantationszentren haben dadurch kein Präparationsrisiko. Auch ist davon auszugehen, dass das Transplantatversagen bei vorpräparierten Lamellen deutlich zurückgeht.
Knochen-Knorpel-Transplantation eine Hoffnung für tausende Patienten?
Mit eher gröberen Gewebetransplantationen beschäftigt sich Dr. Claudia Neunaber von der Klinik für Unfallchirurgie der MHH. „Ein Problem in Orthopädie und Unfallchirurgie sind große Knorpeldefekte“, führte Dr. Neunaber in das Thema Knorpeltransplantation ein. Knorpel kann sich nicht regenerieren. Bisher war bei degenerativen Veränderungen oder Unfällen, beispielsweise des Knies, eine künstliche Prothese die einzige Behandlungsalternative, vor allem bei über 60-jährigen Patienten. Allerdings kommt es nach Jahren zu einer Lockerung des Implantats. Deshalb ist bei jüngeren und sehr aktiven Patienten häufig ein Austausch nötig. Nach drei Revisionen ist das aber nicht mehr möglich. „Für eine Transplantation brauchen wir Knorpel und Knochen, da Knochen an Knochen aber nicht Knorpel an Knorpel anwachsen kann“ erklärt Dr. Neunaber. Dafür werden Knochenspenden, speziell Gelenke, benötigt. 70 Prozent lebende Spenderzellen sind für eine Transplantation erforderlich.
Die ersten 18 Heilversuche sind sehr vielversprechend. Den Anfang machte 2014 eine 59-jährige Frau nach einem schweren Reitunfall. Sie litt unter starken Schmerzen und konnte nur mit Gehhilfen laufen. Nach einer erfolgreichen Behandlung konnte sie sechs Monate später wieder laufen, Treppen steigen und sogar Trampolin springen. Ein 42-jähriger Patient mit beschädigter Patella hatte nur noch Schmerzen. Nach der Knorpeltransplantation war er nach drei Monaten wieder mobil, sogar beim Treppensteigen. Ein weiterer Patient bekam nach einem schweren Unfall ein Knochen-Knorpel-Transplantat eingesetzt. Nach einem Jahr kann er wieder Laufen und sogar Joggen.
DGFG entwickelt mit Partnern Lösung zur nahtlosen Anwendung von Amnion
Ein gemeinsames Entwicklungsprojekt der DGFG mit externen Partnern, den AmnioClip +, stellte Dr. Nicola Hofmann aus dem Qualitätsmanagement der DGFG vor. Die Amnionmembran ist die innerste, dem Fötus zugwandte Schicht der Plazenta. Es handelt sich um eine Lebendspende nach einer Kaiserschnittgeburt. Die Amnionmembran wirkt sich positiv auf die Wundheilung aus, wirkt antientzündlich, wird sehr gut vertragen und nicht abgestoßen. Ärzte verwenden sie in der Augenheilkunde zur Behandlung bei schweren Oberflächendefekten des Auges und bei Limbusstammzelleninsuffizienz. Die Anwendung erfolgt durch Aufnähen auf das Auge. Dazu ist eine lokale, manchmal auch eine komplette Anästhesie nötig. Das Aufnähen führt allerdings zu einer zusätzlichen Verletzung des Auges durch die Naht. Zudem besteht Blutungsgefahr und auch eine Wiederholung ist schwierig. „Es entstand die Idee einer minimalinvasiven Therapie in Form eines mit Amnion bespannten Ringes“, sagt Dr. Hofmann, „einfach aufzusetzen, ambulant und ohne Anästhesie“. Auch wiederholte Behandlungen sind ohne Probleme möglich. Der AmnioClip + kann 7 bis 14 Tage auf dem Auge belassen werden. Mit einer speziellen Aufspannapparatur wird die ultradünne Amnionmembran in ein Ringsystem eingespannt. Eine Pilotstudie ist bereits erfolgreich gelaufen. Die Anwendung wurde von allen Patienten gut vertragen und entfaltete die volle Wirksamkeit. Einzig ein leichtes Fremdkörpergefühl wurde beschrieben. Nächster Schritt im Rahmen der Genehmigung zum Inverkehrbringen ist die Durchführung von Heilversuchen an zwei Augenkliniken zur Anwendungssicherheit und Verträglichkeit.
Über die Augenheilkunde hinaus bestehen weitere Anwendungsmöglichkeiten für Amnion. Die DGFG darf demnächst Amniomembran auch als temporären Hautersatz bei Verbrennungen und Wundheilungsstörungen, für Anwendungen in der Gynäkologie und der Mund-Kiefer-Chirurgie abgeben.
Alternative Serumfreies Medium?
Das Thema Kultivierung und Aufbewahrung von Augenhornhäuten beschäftigt die DGFG und ihre Partner seit vielen Jahren. Simona Walker vom Fraunhofer FEP Dresden stellte das Thema Serumfreies Medium (SFM) vor. Augenhornhäute werden nach der Präparation in einem serumhaltigen Kulturmedium aufbewahrt. Im Allgemeinen nimmt die Endothelzelldichte während der vierwöchigen Kultivierung ab. Das Projekt serumfreies Medium untersucht die Wirkung des Verzichts auf Serum tierischen Ursprungs auf die kultivierte Augenhornhaut. „Nicht nur der Einsatz von undefiniertem Serum wird vermieden, sondern auch das Infektionsrisiko wird ausgeschlossen und der der Einsatz tierischer Produkte reduziert“, sagt Walker. Nach ersten Versuchen zeigt sich keine Beeinträchtigungen der Zellzahl der in SFM kultivierten Hornhäute. Weitere Testungen sind nötig.
Abstoßungsreaktionen vermeiden
Abstoßungsreaktionen sind in der Gewebemedizin weitaus seltener als bei der Organtransplantation. Dennoch spielen Immunreaktionen bei transplantierten Gewebe eine wichtige Rolle. PD Dr. Constanca Figueiredo vom Institut für Transfusionsmedizin der MHH stellte den vielversprechenden Ansatz des gene silencing vor. Bei dieser „Gen-Stilllegung“ erfolgt die Genregulation durch eine Hemmung der Übertragung einer genetischen Information die zu einer Abstoßung führen würde. „Versuche im Mausmodell waren bereits erfolgreich“, berichtet Dr. Figueiredo. Die zukünftige Forschung geht in Richtung gene silencing auch bei Organen und Geweben.