Wie alles begann: Ein Blick zurück zu den Anfängen der DGFG
Martin Börgel führte im Oktober 2017 ein Interview mit den damaligen Initiatoren der DSO-G und Vorstandsmitgliedern der DSO Prof. Dr. med. Martin Molzahn und Dr. jur. Ralf Sasse.
Börgel: Wie sind Sie zur DSO und der Transplantationsmedizin gekommen?
Molzahn: Ich bin 1998 als Vorstandsmitglied des KFH e.V. angetreten, nachdem ich viele Jahre als Internist und Nephrologe in Berlin gearbeitet habe, zuletzt als Abteilungsleiter einer medizinischen Klinik in einem kommunalen Krankenhaus. Damals war die DSO noch eine Stiftung des KFH. Die Vorstände waren identisch. Das änderte sich dann mit Inkrafttreten des Transplantationsgesetzes (TPG) und der Ernennung der DSO zur Koordinierungsstelle der Organspende im Jahr 2000.
Sasse: Ich bin etwas früher zur DSO gestoßen, 1997. Bis dahin hatte ich mit Medizin eher wenig Berührung, weil ich fast zehn Jahre in einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft gearbeitet habe. Ich bin dann vom KFH aus in die damalige Geschäftsführung der DSO eingetreten und habe dort die Bereiche Personal, Finanzen und EDV betreut. Ein paar Jahre später wurde die DSO Koordinierungsstelle der Organspende. Das bedurfte sehr langwieriger Verhandlungen. Im Ergebnis kam der Koordinierungsstellenvertrag zustande, mit dem die DSO ihren Auftrag erhielt. Das war der Startpunkt für Prof. Molzahn und mich als Vorstände der DSO. Es ging zunächst darum, die Finanzierung der DSO zu sichern, die fortan selbstständig war und nicht mehr vom KFH mitfinanziert wurde. Das bedurfte Verhandlungen mit den Krankenkassen und einer Verselbstständigung der Organisation als solcher. Wir haben dann angefangen die Regionalstruktur aufzubauen.
Strukturen der Organspende wurden auf die Gewebespende übertragen
Börgel: Was war das für eine Zeit, als es dann zur Gründung der DSO-G kam?
Sasse: Aus meiner Sicht war es eine Zeit, in der sich die DSO selbst noch im Finden war. Gerade mit dem Thema der regionalen Strukturen standen wir vor der Aufgabe, das, was auf dem Papier stand, in die Fläche zu bringen. Das war alles andere als selbstverständlich. Vieles war noch sehr lokal, so auch die Organspende. Dieselbe Situation hatten wir bei der Gewebespende nochmal differenzierter: Bei der Gewebespende wurde keine gesetzliche Struktur geschaffen. Das Ganze, um es mal wohlwollend zu formulieren, war sehr patchworkartig. Unser Ziel war es, die Strukturen der Organspende auf die Gewebespende zu übertragen.
Molzahn: Patchworkartig ist ein guter Ausdruck für die Situation, die wir damals vorgefunden haben. Bis zum Inkrafttreten des TPG und dessen Realisierung war es so, dass dieser Komplex KFH/DSO an den einzelnen Standorten die unterschiedlichsten Funktionen wahrnahm. Das alles musste jetzt durch den Koordinierungsvertrag und unter der strengen Aufsicht der Vertragspartner, den Krankenkassen, der Bundesärztekammer und der Deutschen Krankenhausgesellschaft, soweit verschlankt werden, dass wirklich nur noch die Aufgabe der Koordinierungsstelle für die Organspende übrigblieb. Alles andere musste abmontiert werden, so auch die Gewebespende.
Sasse: Wir waren davon überzeugt, dass man gerade auch im Bereich der Gewebespende das Thema Verteilungsgerechtigkeit angehen musste. Das war unser Ziel, aber gleichzeitig auch die Hürde, die wir zu überwinden hatten. Denn wir mussten diejenigen, die gut versorgt waren, davon überzeugen, in eine Struktur zu gehen, in der auch andere die Möglichkeit bekommen, versorgt zu werden.
Molzahn: Die Hornhautspende war damals eigentlich fast das Einzige, was es an Gewebespenden gab. Ungefähr die Hälfte der in Deutschland transplantierten Hornhäute kam noch aus dem Ausland unter zumindest mal zu hinterfragenden Bedingungen und natürlich auch kommerziell, das kann man hier auch mal ansprechen. Uns war daran gelegen, ähnlich oder genauso wie bei der Spende solider Organe, jede Form von Handel auszuschließen.
Sasse: Ganz am Anfang verfolgten wir den Ansatz, die Prozesse parallel laufen zu lassen. Aufgrund der unterschiedlichen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen bei der Organ- bzw. Gewebespende bestand aber die Gefahr, dass eine Konkurrenzsituation entsteht, in der einer von dem anderen glaubte, sich gegenseitig zu behindern. Es war kein einfacher Weg, diese Trennung in den Prozessen bei der Gewebe- und der Organspende herbeizuführen und dabei gleichzeitig beide Themen positiv besetzt zu halten.
Gewebespende ist ein Bereich mit ganz eigenen Herausforderungen
Börgel: Anfang 2000 haben sich Bernd Heigel und Dr. med. Timm Bredehorn-Mayr nach und nach zurückgezogen. 2002 wurde ich Geschäftsführer bei der DSO-G. Es gab einen deutlichen Strategiewandel, gleichzeitig aber immer noch die enge Anlehnung an die DSO, die 2007 durch das Gewebegesetz aufgehoben wurde. Wie würden Sie die Entwicklung, die die DSO-G und später DGFG genommen hat, heute bewerten?
Sasse: Im Laufe der Zeit hat sich herausgestellt, dass die Organisation der Organspende ein eigener Bereich mit eigenen Prozessen, Herausforderungen und auch eigener Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ist. Der Gewebespende hat es im Grunde genommen gut getan, sich in einem Extra-Setting weiterzuentwickeln. Es konnten die speziellen Anforderungen im Spendeprozess abgebildet und den besonderen Strukturen Rechnung getragen werden, um insgesamt diesen sehr viel heterogeneren Bereich, in dem der gesetzliche Zwang zur Zusammenarbeit fehlte, in den Griff zu bekommen. Es hat sich mit der DSO-G, heute DGFG, eine eigenständige Gesellschaft in diesem Bereich etabliert, die es auf Basis freiwilliger Zusammenarbeit geschafft hat, am Ende die Strukturen aus der Organspende für einen Großteil der Gewebespenden durchzusetzen. Von daher denke ich, dass es insgesamt betrachtet die richtige Wahl gewesen ist.
Molzahn: Ich stand damals sehr stark unter dem Eindruck der Situationen in Frankreich, Österreich und Spanien mit der strikten Anbindung der Gewebespende an die Organspende und eines völlig anderen Modells der Organspende. Ich hätte mir damals ehrlich gesagt nicht vorstellen können, dass eine Entwicklung, wie sie die DGFG genommen hat, in Deutschland tatsächlich möglich gewesen wäre. Ich hätte immer Sorge gehabt, dass die Egoismen der einzelnen Kliniken und Zentren eine solche Entwicklung unmöglich gemacht hätten. Dass das gelungen ist, ist natürlich ein ganz großer Verdienst der in der DGFG tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Börgel: Wir erleben seit vielen Jahren, dass Leute immer wieder das System ökonomisieren und mit ökonomischen Anreizen arbeiten wollen. Gleichwohl sind wir noch viel näher an diesen Thematiken, weil aus Gewebe Medizinprodukte generiert werden können. Wie sind diese Diskussionen zu bewerten?
Sasse: Die Ökonomisierung der Organ- oder der Gewebespende im Sinne von Angebot und Nachfrage, sehe ich als ein Thema, das alle zwei/drei Jahre wieder hochkommt, weil es in eine ökonomisch ausgerichtete Debatte innerhalb des Gesundheitswesens passt. Aber ich meine, dass sich marktwirtschaftliche Gedanken insbesondere nicht mit dem Bereich der Gewebe- und der Organspende vertragen. Die Ereignisse der letzten Jahre zeigen, dass die Menschen auf solche Tendenzen ganz sensibel reagieren. Organ- und Gewebespende müssen altruistisch bleiben.
Molzahn: Ich sehe das ganz genauso. Ich denke, dass man an der Stelle gelegentlich auch mal den Stier bei den Hörnern packen und auch in der Öffentlichkeit die Meinung vertreten kann, dass dies ein Bereich des Gesundheitswesens ist, der sich besonders schlecht für eine Kommerzialisierung eignet.
Börgel: Wir kommen heute zunehmend in den Bereich, wo Gewebe in hochkomplexen Verfahren aufbereitet werden und wo wir Förderstrukturen haben, die bei einer Weiterentwicklung von Gewebezubereitungen kommerzielle Strukturen einfordern. Sehen Sie an dieser Stelle eine Gefahr in der Entwicklung?
Sasse: Zunächst müsste man fragen, welche Ziele damit verbunden sind. Wenn die Kommerzialisierung sich darauf beziehen sollte, Forschung und Entwicklung im Hinblick auf Methoden bei der Gewebezubereitung einen Schub zu geben, der letztendlich den Patienten dient, mag dies sinnvoll sein. Dieses Thema muss dann aber deutlich vom Prozess der Gewebespende und der Verteilung getrennt werden und darf diesen Bereich nicht beeinflussen, auch nicht mittelbar.
Netzwerk der DGFG auch in Zukunft ein Erfolgsmodell
Börgel: Die DGFG gibt es jetzt seit zehn Jahren. Was glauben Sie, wie geht es mit der Gewebespende weiter?
Sasse: Ich kann mir gut vorstellen, dass aufgrund der Art und Weise, wie die DGFG gestartet ist und sich mit viel Beharrlichkeit entwickelt hat, und vor allem aufgrund der Prinzipien, mit denen sie arbeitet, langfristig eine positive Aussicht besteht. Die DGFG hat sich in einem schwierigen Umfeld durchgesetzt und hat jetzt kompetente und auch namhafte Kooperationspartner, die für Nachhaltigkeit und Kontinuität stehen. Es ist ein Modell, in dem sich die Interessierten an dem Thema wiederfinden, sich mit einbringen und auch Verantwortung übernehmen können. Es garantiert den Patienten ein qualitativ gutes Ergebnis auf einer gemeinnützigen und nicht kommerziellen Grundlage. Insgesamt kann es schon heute als ein Erfolgsmodell bezeichnet werden. Der Bedarf an Geweben und Zellen wird, in welcher Form auch immer, da wage ich jetzt mal die Prognose auch als Nicht-Mediziner, eher zu- als abnehmen. Von daher wird die DGFG auch in Zukunft eine wichtige und unerlässliche Rolle in der Versorgung der Patienten einnehmen.
Molzahn: Ja, das denke ich auch. Ich denke vor allem, dass die Gewebespenden und -transplantationen in den Bereichen zunehmen, in denen sie im Moment in einer ziemlich rasanten Entwicklung sind. Herzklappen, Gefäße, Knochen, Haut ist ja schon lange etabliert, und dazu kommen wahrscheinlich auch noch ganz andere. All das wird sich entwickeln und ich glaube, für diese Entwicklung gibt es eine gute Zukunft, einfach weil das Modell der DGFG auch flexibel ist. Es passt sich an die jeweiligen lokalen Verhältnisse an und verfügt über unterschiedliche Komponenten: von der Organisation der Spende, der Vermittlung, der Prozessierung bis hin zu der reinen Unterstützungsfunktion. Die DGFG geht auf die Situation in den einzelnen Klinika ein und hilft dort, wo noch Schwachstellen im Prozess zu überwinden sind.
Börgel: Gibt es noch etwas, das Sie uns gerne auf den Weg geben möchten?
Molzahn: Eigentlich nur, dass man die DGFG beglückwünschen kann zu diesem Erfolgsweg und dass ich als einer, der am Anfang mit dabei sein durfte, Ihnen alles Gute für die nächsten Dekaden wünsche.
Sasse: Ich schließe mich den Glückwünschen und Wünschen für die Zukunft an. Ich bin fest davon überzeugt, dass die DGFG mit der bisherigen Beharrlichkeit diese doch einzigartige Struktur im Gesundheitswesen auf Dauer fortführen wird. Es freut mich, dass eine solche Entwicklung in unserem heutigen Gesundheitswesen doch noch möglich ist.
Börgel: Gibt es noch etwas, das Sie uns gerne auf den Weg geben möchten?
Molzahn: Eigentlich nur, dass man die DGFG beglückwünschen kann zu diesem Erfolgsweg und dass ich als einer, der am Anfang mit dabei sein durfte, Ihnen alles Gute für die nächsten Dekaden wünsche.
Sasse: Ich schließe mich den Glückwünschen und Wünschen für die Zukunft an. Ich bin fest davon überzeugt, dass die DGFG mit der bisherigen Beharrlichkeit diese doch einzigartige Struktur im Gesundheitswesen auf Dauer fortführen wird. Es freut mich, dass eine solche Entwicklung in unserem heutigen Gesundheitswesen doch noch möglich ist.
Weiterlesen
Hier finden Sie weitere Informationen zum Leitbild und Arbeitsweisen der DGFG.