25 Jahre Gewebespende in Deutschland – 15 Jahre DGFG

Gewebespende noch immer ein blinder Fleck in Politik und Gesellschaft

Hannover, 02.06.2022 – Die Deutsche Gesellschaft für Gewebetransplantation (DGFG) mit Sitz in Hannover begeht in diesem Jahr ihr 15-jähriges Jubiläum. Die gemeinnützige Organisation ist die größte bundesweit tätige Einrichtung, die Gewebespenden realisiert, in Gewebebanken aufbereitet und an Transplantationszentren vermittelt. 2.923 Menschen spendeten im letzten Jahr Gewebe, zum Großteil nach Herz-Kreislauf-Versterben (2.504). 6.422 Gewebe gingen zur Aufbereitung in die 12 Gewebebanken im Netzwerk der DGFG ein – darunter 4.165 Augenhornhäute, 445 Herzklappen, 335 Blutgefäße und 30 Plazenten zur Gewinnung der Amnionmembran. 6.608 Menschen konnte die DGFG in 2021 mit einem Gewebetransplantat versorgen. Obgleich die Zahlen in der Gewebespende im Unterschied zur Organspende jährlich steigen, haben wir in Deutschland nach wie vor einen Mangel an Gewebe: „Noch immer führen wir Wartelisten für eine Augenhornhaut. Im letzten Jahr konnten wir nur jede zweite Anfrage für eine Herzklappe bedienen. Das ist noch immer zu wenig“, hält Martin Börgel, Geschäftsführer der DGFG, fest. Auch das Wissen um die Gewebespende, ihre Voraussetzungen und ihre Organisation, die sich von der Organspende deutlich unterscheidet, ist erschreckend gering. Das zeigt sogar das jüngst in Kraft getretene Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende, das die Gewebespende zwar betrifft, in seiner aktuellen Form jedoch erheblich gefährdet.

Online-Register gefährdet Versorgung mit Geweben

Bereits Anfang März veröffentlichte die DGFG einen offenen Brief und appellierte an den Gesetzgeber, dieGewebespende in der Gesetzesreform der etablierten Praxis angemessen zu berücksichtigen. Rückhalt erfährt die DGFG dabei auch von ihren fünf Gesellschafterkliniken, der Medizinischen Hochschule Hannover, den Universitätskliniken in Dresden, Leipzig und Rostock sowie dem Dietrich-Bonhoeffer-Klinikum in Neubrandenburg, die allesamt das Anliegen der DGFG unterstützen.

In dem besagten Gesetz vorgesehen: ein Online-Register sowohl zur Dokumentation der Entscheidung zur Organ- als auch zur Gewebespende. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, welches das Register derweil einrichtet, verteilt für den Zugriff auf dieses Register sogenannte Verordnungsermächtigungen an ausgewählte Personen, um im Einzelfall die Entscheidung des potentiellen Spenders bzw. der potentiellen Spenderin zu überprüfen. Dabei völlig außer Acht gelassen und im Gesetz nicht mit berücksichtigt sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Gewebespendeeinrichtungen. Ändert sich an dem bereits in Kraft getretenen Gesetz bis zum Registerstart nichts mehr, besteht die Gefahr, dass eine Vielzahl an Gewebespenden nicht mehr realisiert werden kann und sich damit die Patientenversorgung mit Gewebetransplantaten in Deutschland erheblich verschlechtert.

Ministerium, Ärztekammer Niedersachsen und MHH unterstützen die Gewebespende

Zusammen mit der niedersächsischen Sozial- und Gesundheitsministerin Daniela Behrens, der Vizepräsidentin der Ärztekammer Niedersachsen Doktor Marion Charlotte Renneberg und dem Präsidenten der Medizinischen Hochschule Hannover Professor Michael P. Manns macht die DGFG bei einer Pressekonferenz auf die Bedeutung der Gewebespende für die Patientenversorgung in Hannover, Niedersachsen und darüber hinaus aufmerksam.

„Eine Gewebespende ist für viele Menschen die einzige Chance auf Heilung oder Linderung. Der DGFG ist es in den letzten 15 Jahren gelungen, die Gewebespende erfolgreich auszubauen und die Patientenversorgung zu verbessern. Etwa die Hälfte aller Hornhaut-, Herzklappen- und Amniontransplantate werden von Hannover aus in Zentren in ganz Deutschland vermittelt. In Deutschland gilt – sowohl für die Organ- als auch für die Gewebespende – die Entscheidungslösung. Eine Gewebespende nach dem Tod ist nur möglich, wenn eine schriftliche oder mündliche Zustimmung der Spenderinnen oder des Spenders vorliegt oder die Angehörigen eine Entscheidung im Sinne der Ver­storbenen treffen. Es bedarf stetiger Aufklärung. Ein Projekt wie »Gewebespende erleben« trägt öffentlichkeitswirksam dazu bei. Nutzen Sie die Chance, vorbeizukommen, sich zu informieren und eine Entscheidung zu treffen. Damit entlasten sie schließlich ihre Familie, die im Spendenfall nach ihrem Willen gefragt wird“, sagt Gesundheitsministerin Daniela Behrens.

„Die Gewebespende verdient dieselbe öffentliche Aufmerksamkeit wie die Organspende. Die Medizinische Hochschule Hannover ist stolzes Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Gewebetransplantation und glaubt somit eine wesentliche Struktur mitgeschaffen zu haben, die als Ergänzung zur traditionellen Organtransplantation hilft Leben zu retten und Lebensqualität zu erhalten.“ sagt Professor Dr. med. Michael Manns, Präsident der Medizinischen Hochschule Hannover.

„Es ist für jeden einzelnen wichtig, sich frühzeitig mit der Frage auseinanderzusetzen, ob eine Gewebespende nach dem Tod in Frage kommt. Sprechen Sie mit Ihrer Familie darüber, mit Ihren Freunden, Verwandten und Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt des Vertrauens. Denn je häufiger Sie sich mit diesem Thema auseinandersetzen, desto fundierter können Sie schlussendlich entscheiden“, ergänzt Dr. med. Marion Charlotte Renneberg, Vizepräsidentin der Ärztekammer Niedersachsen.

DGFG macht sich stark für die Aufklärungsarbeit mit „Gewebespende erleben“ Open Air

Mit der Fotografieausstellung »Gewebespende erleben« Open Air möchte die DGFG die allgemeine Öffentlichkeit sowie Entscheiderinnen und Entscheider aus der Politik und Gesundheitsbranche für die Gewebespende sensibilisieren. Die Open Air-Ausstellung basiert auf einem Gemeinschaftsprojekt mit der Hochschule Hannover: Sieben Fotografinnen und Fotografen aus dem Studiengang Fotojournalismus und Dokumentarfotografie haben das Projekt 2019 mit der DGFG realisiert. In 2021 wurde »Gewebespende erleben« gleich zweimal prämiert: einmal mit dem Silbernen Nagel des Art Directors Club, dann holte das Projekt Gold im Rahmen des German Design Award. Die Fotografien wurden bislang ausschließlich in Kliniken gezeigt. Corona machte eine öffentliche Ausstellung bislang nicht möglich. Doch das soll sich nun ändern. Als Open Air- Ausstellung ist »Gewebespende erleben« noch bis zum 13. Juni 2022 auf dem Hannah-Arendt- Platz in Hannover zu sehen. Am Abend des 2. Juni findet dort eine öffentliche Abendveranstaltung statt – moderiert von Dr. Carola Holzner, auch bekannt als Doc Caro aus Social Media und TV. Protagonistinnen und Protagonisten der Fotografieausstellung, Expertinnen und Experten aus der Gewebemedizin und Gesundheitsbranche sowie DGFG-Mitarbeitende kommen zu Wort und geben Einblick in die Gewebespende und die Prozesse, die dahinterstehen. Finanziert wird dieses Aufklärungsprojekt mithilfe von Spendengeldern, Sponsoring und Fördermitteln. „Ein herzlicher Dank gilt dabei insbesondere der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und der AOK Niedersachsen, die dieses Aufklärungsprojekt als Sponsoren großzügig unterstützen.“ Weitere Informationen zur Veranstaltung und Ausstellung sind zu finden unter: https://gewebenetzwerk.de/15-jahre-dgfg/

Die Ausstellung steht auch als Poster-Set für die öffentliche Aufklärungs- und Bildungsarbeit zur Verfügung. Kliniken, Schulen, öffentliche Einrichtungen, Gesundheitsämter und viele weitere sind herzlich dazu eingeladen, »Gewebespende erleben« ihren Besucherinnen und Besuchern zu zeigen.

„Wir alle wünschen uns, dass die Bilder in die Welt hinausgetragen werden, dass sie gesehen werden und dass wir im besten Fall einen kleinen Beitrag dazu leisten können, auf das wichtige Thema der Gewebespenden aufmerksam zu machen“, sagt Martin Börgel.

15 Jahre Gewebegesetz – 15 Jahre DGFG

Seit gut 15 Jahren wird die Gewebespende unabhängig von der Organspende in Deutschland realisiert. Am 1. August 2007 trat das sogenannte Gewebegesetz in Kraft: Das Gesetz über Qualität und Sicherheit von menschlichen Geweben und Zellen wurde am 25. Mai 2007 vom Bundestag verabschiedet. Es setzt die EU-Richtlinie (EG-Geweberichtlinie 2004/23/EG) aus dem Jahr 2004 insbesondere über Änderungen im Transplantationsgesetz (TPG) und Arzneimittelgesetz (AMG) um. Die Richtlinie soll europaweit einheitliche Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Gewebeprodukte schaffen. Auf Basis des Gewebegesetzes von 2007 sind alle Tätigkeiten und Ablaufprozesse der Gewebespende gesetzlich geregelt. Für alle Gewebezubereitungen gilt das Handelsverbot.

Inzwischen führen in der DGFG 48 Koordinatorinnen und Koordinatoren zusammen mit sechs Ärztinnen und Ärzten täglich zahlreiche Gewebeentnahmen durch – mit Erfolg. Sie sind diejenigen, die innerhalb der vergangenen 15 Jahre über 29.000 Gewebespenden realisieren und damit nahezu 60.000 Patientinnen und Patienten mit Gewebetransplantaten helfen konnten. Täglich erhält die DGFG tausende Meldungen potentieller Spenderinnen und Spender, die stets gründlich auf ihre Eignung überprüft werden. Hierbei werden oft auch die zuletzt behandelnden Ärzte auf den Klinikstationen kontaktiert. Jede potentielle Spende beansprucht personelle Ressourcen, sowohl der Gewebespendeeinrichtung als auch der Klinik. Der zeitliche Druck ist gleichzeitig hoch. Herzklappen und Blutgefäße müssen binnen 36 Stunden, Augenhornhäute innerhalb von 72 Stunden ab Todeseintritt entnommen worden sein. Spricht aus medizinischer Sicht nichts gegen eine Spende kommt es zum entscheidenden Schritt: der Klärung, ob eine Entscheidung zur Gewebespende bereits vorliegt. Hier käme dann das künftige Online-Register ins Spiel. Nun droht der DGFG als Gewebespendeeinrichtung, fortan keine Auskunft über die dort dokumentierte Entscheidung zu erhalten. Aus diesem Grund bittet die DGFG den Gesetzgeber darum, die bereits in Kraft getretene Reform um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Gewebespendeeinrichtungen als auskunftsberechtigte Personen, die vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte ebenfalls ernannt werden sollen, zu erweitern.

DGFG

Die gemeinnützige Deutsche Gesellschaft für Gewebetransplantation (DGFG) fördert seit 1997 die Gewebespende und -transplantation in Deutschland. Von 1997 bis 2007 organisierte die DGFG noch als Tochtergesellschaft der DSO (als sogenannte DSO-G) die Gewebespende. 2007 kam es mit Inkrafttreten des Gewebegesetztes zur räumlichen und rechtlichen Trennung von der DSO und zur Gründung der DGFG. Seitdem realisiert die DGFG eigenständig und unabhängig die Gewebespende. Die Basis bildet das freiwillige Engagement der Kliniken, die sich über die Jahre dem Netzwerk angeschlossen haben und der DGFG potentielle Gewebespenderinnen und -spender melden. Die DGFG vermittelt ihre Transplantate über eine zentrale Vermittlungsstelle mit einer bundesweiten Warteliste. Jede medizinische Einrichtung in Deutschland kann Gewebe von der DGFG beziehen. Als unabhängige, gemeinnützige Gesellschaft wird die DGFG ausschließlich von öffentlichen Einrichtungen des Gesundheitswesens getragen: Gesellschafter sind das Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden, das Universitätsklinikum Leipzig, die Medizinische Hochschule Hannover, die Universitätsmedizin Rostock sowie das Dietrich-Bonhoeffer-Klinikum Neubrandenburg. Die DGFG ist in ihrer Aufbaustruktur, der Freiwilligkeit der Unterstützung durch die Netzwerkpartner und ihrer Unabhängigkeit von privaten oder kommerziellen Interessen einzigartig in Deutschland.

Statements von Krankenkassen zur Gewebespende und „Gewebespende erleben“ Open Air

Doris Lungenstraß, Unternehmensbereichsleiterin Marketing bei der AOK Niedersachsen

„Es gibt viele Aspekte, die die Entscheidung für oder gegen eine Organ- und Gewebespende beeinflussen. Die AOK unterstützt ihre Versicherten mit einem umfangreichen Informationsangebot und klärt über ethische, moralische und rechtliche Fragen auf. Unter www.aok.de/organspende ist eine Entscheidungshilfe mit Fakten zur Organ- und Gewebespende abrufbar. Es ist wichtig, sich im Familien- und Freundeskreis mit dieser Thematik zu befassen. Ein konkretes Ja oder Nein zur Organ– und Gewebespende kann im Ernstfall die Angehörigen entlasten und erleichtert den Ärzten das weitere Vorgehen.

Über die Kosten muss man sich indes keine Gedanken machen: Die gesetzliche Krankenversicherung des Empfängers von Organen, Geweben oder Blutstammzellen ist für die Übernahme zuständig. Dazu gehören zum Beispiel Leistungen der ambulanten und stationären Krankenbehandlung, medizinisch erforderliche Vor- und Nachbetreuung, medizinische Rehabilitation sowie Krankengeld.“

Dirk Engelmann, Leiter der TK-Landesvertretung Niedersachsen  

„Organ- und Gewebespenden retten Leben. Deshalb unterstützt die Techniker Krankenkasse aktiv die Aufklärung und Information dazu und begrüßt die Initiative der DGFG. Aus eigenen Umfragen wissen wir, dass die Spendenbereitschaft die Zahl der ausgestellten Spendenausweise um mehr das das Doppelte übersteigt. Auch Deshalb unser Appell für folgenden Dreischritt: Informieren, entscheiden und im Spendenausweis dokumentieren. Unabhängig davon wie die individuelle Entscheidung ausfällt, mit einem Spendenausweis wird Ärztinnen und Ärzten sowie Angehörigen eine gute und sichere Entscheidung deutlich erleichtert.“

Heike Sander, Landesgeschäftsführerin der BARMER Niedersachsen/Bremen:

„Fragen, die das Leben und den Tod berühren, sind niemals einfach. So ist es auch mit der Gewebespende. Es gibt hier kein „richtig“ oder „falsch“. Wir alle können diese Frage nur für uns persönlich beantworten, und niemand hat das Recht, die Entscheidung zu kritisieren. Wichtig ist, dass wir selbst zu einer Entscheidung kommen, diese in einem Organspendeausweis dokumentieren und mit Angehörigen oder anderen nahestehenden Personen darüber sprechen. Denn wer sein Recht auf Selbstbestimmung zur Organspende wahrnimmt, erspart unter Umständen den nächsten Angehörigen bei schwierigen Entscheidungen eine große Belastung.

Nur wer einen Organspendeausweis ausgefüllt oder seine Angehörigen über seinen Willen informiert hat, schützt sie davor, diese Entscheidung stellvertretend treffen zu müssen. Wenn man sich zu Lebzeiten nicht für oder gegen Organspende entschieden hat und am Hirntod verstirbt, dann müssen die Angehörigen über eine Organspende entscheiden. Gerade zu diesem schweren Zeitpunkt ist es für die meisten Menschen aber eine große Belastung, eine solche Entscheidung für den Verstorbenen zu treffen. Das ist sehr gut nachvollziehbar und sollte möglichst jedem erspart bleiben.“

Hilfestellungen auch zum persönlichen Organspendeausweis gibt die BARMER unter www.barmer.de/s000105

Die bereits mit dem German Design Award und Silbernen Nagel des Art Directors Club ausgezeichneten Fotografien wurden bislang ausschließlich in Kliniken ausgestellt.
Die Ausstellung wird vom 30.05. bis 13.06. auf dem Hannah-Arendt-Platz zu sehen sein.

Im Rahmen der 14-tägigen Ausstellung »Gewebespende erleben« Open Air findet am Abend des 2. Juni 2022 eine öffentliche Veranstaltung statt – moderiert von Dr. Carola Holzner, auch bekannt als Doc Caro aus Social Media und TV. Protagonist*innen der Fotografieausstellung, Ärzte*innen, Partner*innen aus der Gewebemedizin und Gesundheitsbranche sowie Politiker*innen kommen zu Wort – und geben Einblick in die Gewebespende und die Prozesse, die dahinter stehen. Unser Ziel: Aufklärung zur Gewebespende – unter freiem Himmel, in sommerlicher Atmosphäre.

Bildmaterial zur redaktionellen Verwendung – Quelle: DGFG

Bildmaterial von der Ausstellung „Gewebespende erleben“ Open Air zur redaktionellen Verwendung – Quelle: DGFG

Kristin Kleinhoff, M.A.

Kristin Kleinhoff, M.A.

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