Rechtliche Anerkennung und Stärkung der Gewebespende

Deutsche Gesellschaft für Gewebetransplantation (DGFG) begrüßt den Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums zur Änderung des Transplantationsgesetzes.

Der Entwurf eines dritten Gesetzes zur Änderung des Transplantationsgesetzes (TPG) sieht neben der Novellierung der Regelungen zur Lebendorganspende eine echte Verbesserung und Aufwertung der postmortalen Gewebespendepraxis vor. Seit Inkrafttreten des Gewebegesetzes in 2007, in dessen Zuge Regelungen zur Gewebespende im Transplantations- und Arzneimittelgesetz und weiteren Verordnungen mit aufgenommen wurden, lag die Zielsetzung und Ausrichtung des TPG – wortwörtlich – stets auf der Stärkung der Organspende. Nun setzt das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) mit einem Einschub gleich zu Beginn in § 1 Satz 1 TPG ein klares Zeichen: „Ziel des Gesetzes ist es, die Bereitschaft zur Organspende und Gewebespende in Deutschland zu fördern.“ Das TPG dient der Förderung sowohl der Organ- als auch der Gewebespende – ein positives Signal für die bis zuletzt recht wenig berücksichtigte Gewebespende. Eine wichtige Maßnahme in der Förderung beider Spendeformen ist das Register für Erklärungen zur Organ- und Gewebespende (OGR), das bereits seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende im März 2022 vorgesehen ist. Im März dieses Jahres nahm das Register seinen Betrieb auf. Unter www.organspende-register.de haben sich in den ersten Wochen mehr als 100.000 Bürgerinnen und Bürger erfolgreich registriert. Angebundene Entnahmekrankenhäuser können Erklärungen im potentiellen Organspendefall aus dem OGR bereits abrufen. Dem gelungenen Registerstart sollen nun rechtliche Anpassungen folgen, die die DGFG als Deutschlands größte Gewebeeinrichtung sehr begrüßt. Lediglich § 7 TPG zur Datenverarbeitung und Auskunftspflicht sollte folgerichtig angepasst werden, um auch dort die auskunftsberechtigten Gewebeeinrichtungen entsprechend zu berücksichtigen.

BMG setzt Stufenplan zum Organspenderegister rechtlich konsequent um

Im Februar veröffentlichte das BMG einen Plan zur stufenweisen Inbetriebnahme des Registers mit einer unmittelbaren Anbindung der Gewebeeinrichtungen bis zum 1. Januar 2025 als vierten und letzten Schritt. Diesen setzt der Referentenwurf nun auch rechtlich konsequent insbesondere über die Änderungen des § 2a TPG und eine Erweiterung über den neuen § 8g TPG um: Gewebeeinrichtungen, welche über eine aktive arzneimittelrechtliche Erlaubnis zur postmortalen Gewebeentnahme verfügen und von der jeweiligen zuständigen Landesbehörde dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gemeldet wurden, werden den Entnahmekrankenhäusern für den Abruf der Erklärungen im OGR gleichgesetzt. Damit unterstützt und stärkt die Gesetzesänderung die bereits seit 2007 existierenden und gut etablierten Strukturen in der Gewebespendepraxis. Die Gewebethematik liegt in Deutschland in einem behördlich streng regulierten und überwachten Bereich, mit höchsten Sicherheitsanforderungen und medizinischen Standards.

Referentenentwurf arbeitet Unterschied von Organ- und Gewebespende richtig heraus

„Der Ablauf einer Gewebespende unterscheidet sich erheblich von den Abläufen einer Organspende, die an die Hirntoddiagnostik gebunden ist, so dass entsprechende Interessenkollisionen im Zusammenhang mit der Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls bei der nachgelagerten Gewebespende, die eine Trennung von Personen in der Spendenorganisation einerseits und der Entnahme andererseits erfordert, nicht gesehen wird.“ Im Referentenentwurf wird der Unterschied zwischen der Gewebespende nach irreversiblem Hirnfunktionsausfall (nach Organspende) und der Gewebespende nach Herz-Kreis-Lauf-Tod erkannt und umgesetzt, in dem nun die jeweils zuständigen Ärztinnen und Ärzte unmittelbare Zugriffsrechte auf das OGR erhalten: Für die Gewebespende nach irreversiblem Hirnfunktionsausfall (nach Organspende) rufen im Sinne der Einzügigkeit Ärzt:innen oder Transplantationsbeauftragte von (Entnahme-)Krankenhäusern, die dem BfArM als auskunftsberechtigt gemeldet wurden (§ 2a Abs. 2 Nr. 2 TPG), das Register für mögliche Erklärungen ab. Bei postmortalen Gewebespenden bei Herz-Kreislauf-Verstorbenen (unabhängig von der Organspende) darf hingegen ärztliches Personal einer nach § 8g gemeldeten Gewebeeinrichtung das Register abfragen (§ 2a Abs. 2 Nr. 3 TPG) – vorausgesetzt, die Gewebeeinrichtungen verfügen über eine Erlaubnis nach §§ 13, 20b oder 20c AMG und entnehmen selbst Gewebe oder lassen diese nach § 20b Abs. 2 AMG entnehmen (s. § 8g TPG) und wurden dem BfArM von der jeweils zuständigen Landesbehörde gemeldet. Diese Fälle von Gewebespenden bei Herz-Kreislauf-Verstorbenen machen mit 80 bis 90 Prozent den Großteil aller Gewebespenden in der Praxis aus[1]. Hierbei handelt es sich überwiegend um Patientinnen und Patienten in Kliniken, auch auf Intensivstationen, die an einem Herz-Kreislauf-Tod verstorben sind. Gewebespenden können darüber hinaus auch bei Verstorbenen außerhalb des Klinikumfeldes in z.B. Hospizen, Pflegeeinrichtungen oder der häuslichen Umgebung realisiert werden.

Medizinisches Screening dient der Vorselektion potenzieller Spenderinnen und Spender

Nach § 8g – neu – TPG dürfen Ärztinnen und Ärzte der Gewebeeinrichtungen das Register abrufen, wenn der Tod des Gewebespenders oder der Gewebespenderin festgestellt worden ist und einer möglichen Gewebeentnahme medizinische Gründe nicht entgegenstehen. Damit soll gewährleistet werden, dass der Umfang an Abfragen aus dem Register auf das tatsächlich notwendige Maß zu begrenzen ist und nicht bei allen Verstorbenen regelhaft durchgeführt wird. Dieses Vorgehen passt zu der gängigen Gewebespendepraxis. Der Gesetzgeber kann und darf jedoch nicht von einer abgeschlossenen medizinischen Indikationsprüfung zum Zeitpunkt der Registerabfrage ausgehen: die Überprüfung auf mögliche Ausschlussgründe dient lediglich der Vorselektion. Nicht immer liegen bereits zu diesem frühen Zeitpunkt alle relevanten Informationen zur Krankenhistorie vor. So können auch erst im Angehörigengespräch oder kurz vor der Entnahme medizinische Ausschlussgründe auftreten, die bis zu diesem Schritt nicht erkennbar waren. Da eine Registerabfrage nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TPG noch vor dem Aufklärungsgespräch mit den Angehörigen stattfinden soll und Gewebespenden nach dem Tod nur zeitlich begrenzt möglich sind, kann die medizinische Indikationsprüfung der potentiellen Spender:innen somit zum Zeitpunkt der Registerabfrage noch nicht abgeschlossen sein.

Recht auf Auskunft für Gewebeeinrichtungen sollte auch in § 7 TPG berücksichtigt werden

Eine rechtliche Anpassung, die im Referentenentwurf bislang noch nicht berücksichtigt wurde, die die DGFG jedoch begrüßen würde, ist die Aufnahme der Gewebeeinrichtungen nach § 8g – neu – TPG in den Regelungen zur Datenverarbeitung und Auskunftspflicht nach § 7 TPG: Dort bezieht sich das Recht auf Auskunft für den Gewebebereich in Absatz 3 noch auf Ärztinnen und Ärzte aus einer Einrichtung der medizinischen Versorgung, welche Gewebe entnimmt. Diese Einrichtungen medizinischer Versorgung sind laut Begriffsbestimmung in § 1a TPG Krankenhäuser oder andere Einrichtungen mit unmittelbarer Patientenbetreuung. Das trifft in der Praxis jedoch nicht auf alle Gewebeeinrichtungen zu: Nicht immer sind Gewebeeinrichtungen Bestandteil eines Krankenhauses und damit auch in der Patientenbetreuung tätig. Gewebeeinrichtungen hingegen leisten über die Realisierung und Aufbereitung von Gewebespenden und die Abgabe von Transplantaten einen essenziellen Beitrag für die Versorgung tausender Patientinnen und Patienten, Jahr für Jahr. Allein in 2023 konnte die DGFG, ein unabhängiges und gemeinnütziges Netzwerk aus Spendekrankenhäusern und Gewebebanken, mehr als 7.500 Gewebetransplantate vermitteln – darunter mehr als 5.000 Augenhornhäute, was mehr als die Hälfte der in Deutschland aufbereiteten und abgegebenen Transplantate ausmacht. Aus diesem Grund sollten entweder in der Begriffsbestimmung einer Einrichtung der medizinischen Versorgung (§ 1a Nr. 9 TPG) Gewebeeinrichtungen nach § 8g – neu – TPG ergänzt oder aber direkt in § 7 TPG mit aufgeführt werden. Diese Ergänzung würde das Auskunftsrecht und das vom TPG beabsichtigte Spendekonzept noch einmal bestätigen und bestärken.

Abrufberechtigung auch für pflegerische Fachkräfte in der Gewebespende wünschenswert

Ein Aspekt, der bislang rein rechtlich ebenfalls nicht berücksichtigt wurde, ist die Ausweitung des abrufberechtigten Personenkreises auch auf pflegerisches Personal in der Gewebespendepraxis: In der Gewebespende arbeiten examinierte Pflegefachkräfte, vergleichbar mit pflegerischen Transplantationsbeauftragten, welche ebenfalls berechtigt sind, eHBA zu besitzen. Der eHBA ist eine wichtige Zugangsvoraussetzung zum Register und dient der persönlichen Authentifizierung der abrufberechtigten Person. Um das begrenzte ärztliche Personal in den Gewebeeinrichtungen zu entlasten, begrüßt die DGFG eine Ausweitung des abrufberechtigten Personenkreises auf pflegerische Gewebespendekoordinator:innen, was ebenfalls gesetzlich verankert werden müsste.

Gewebeeinrichtungen müssen Kostenaufwand für Registerabfragen selbst tragen

In dem Referentenentwurf bezieht das BMG zudem Stellung zu den finanziellen Auswirkungen der angedachten Gesetzesänderung. Die Kosten für die erforderliche Hard- und Software sowie der elektronischen Heilberufeausweise (eHBA) für die Ärztinnen und Ärzte für eine Registeranbindung sollen die Gewebeeinrichtungen dem Referententwurf zufolge selbst tragen. Das BMG bewertet diese Kosten als vernachlässigbar. Wie hoch der für die Registerabfragen aufzubringende Arbeitsaufwand sein wird, ist derzeit auch für die Gewebeeinrichtungen noch nicht abzuschätzen. Allein in 2023 erhielt die DGFG mehr als 50.000 Spendermeldungen. Nicht alle können im vorgegebenen Zeitfenster realisiert werden. Dennoch rechnet die DGFG mit rund 35.000 OGR-Abfragen pro Jahr – Tendenz steigend.

Gegebenenfalls könnte eine erneute Kostenbewertung notwendig sein, sollten die Gewebeeinrichtungen den finanziellen Mehraufwand nicht tragen können. Die DGFG ist eine gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung und refinanziert die Prozesse in der Spende, Aufbereitung und Vermittlung über die Aufwandserstattungspauschalen für erfolgreich vermittelte Gewebetransplantate. In der Organspende hingegen werden alle anfallenden Kosten über die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) vergütet, welche wiederum ihr Budget jährlich mit dem GKV-Spitzenverband, der Deutschen Krankenhausgesellschaft, der Bundesärztekammer und im Einvernehmen mit dem Verband der Privaten Krankenversicherung vereinbart.

Neuregelung zur Lebendspende fördert Dominoherzklappenspende

In puncto Lebendspende begrüßt die DGFG die Erweiterung der Lebendgewebespende nach dem neuen § 8c Abs. 2 TPG, der eine Rückübertragung von Organen und Gewebe bei nicht einwilligungsfähigen Personen (z.B. Minderjährige oder Kinder), die im Rahmen einer medizinischen Behandlung entnommen worden sind, ermöglicht. So könnten Kinder, die ein Spenderherz erhalten, ihr erkranktes Herz mit den oftmals noch funktionsfähigen Herzklappen spenden. Damit könnte die Zahl an Herzklappenspenden erhöht und die Versorgung mit diesem Transplantat in Deutschland verbessert werden. Der Mangel an diesem Gewebe ist hoch: In 2023 konnte die DGFG als größte bundesweit tätige Gewebeeinrichtung weniger als jede zweite Anfrage für eine Herzklappe überhaupt nur bedienen. Herzklappen kommen insbesondere Kindern und jungen Menschen mit angeborenen Herzklappenfehlern zugute. Die Voraussetzung für eine solche Dominoherzklappenspende in den Fällen nach § 8c Abs. 2 TPG ist das Vorliegen einer Einwilligung der gesetzlichen Vertreter:innen (z.B. Eltern) oder Bevollmächtigten.

Insgesamt ist der Gesetzesentwurf aus Sicht der DGFG der Kritik an der fehlenden Berücksichtigung der Gewebespendepraxis in den Regelungen zum Umgang mit dem Organ- und Gewebespenderegister bis auf wenige Ausnahmen, dazu gehören die Aufnahme der Gewebeeinrichtungen in § 7 TPG sowie die Ausweitung des abrufberechtigten Personenkreises auf pflegerisches Personal von Gewebeeinrichtungen, in weiten Teilen nachgekommen. Die Gewebespende erfährt eine deutliche Aufwertung und Anerkennung der gelebten, erfolgreichen Praxis. Mithilfe dieser rechtlichen Rahmenbedingungen kann die Registerabfrage in der Gewebespendepraxis anwendungsfreundlich, klinik- und standortunabhängig gestaltet werden. Die nötige Flexibilität und Schnelligkeit im zeitempfindlichen Spendeprozess sieht die DGFG nun nicht mehr gefährdet.

[1] Zahlen zur Gewebespende 2023. Gewebespende auf Rekordniveau: 3.475 Menschen spendeten in 2023 Gewebe. Vorläufige Jahreszahlen der DGFG – veröffentlicht am 01.01.2024. Zugriff unter https://gewebenetzwerk.de/gewebespende-auf-rekordniveau/