EATB 2016 – Gewebemediziner treffen sich in Hannover

Die DGFG war vom 23.-25. November 2016 Gastgeber der 25. Jahrestagung der European Association of Tissue Banks (EATB). Das Treffen findet einmal jährlich statt – seit 25 Jahren. 240 Mediziner, Forscher und Mitarbeiter internationaler Gewebebanken aus insgesamt 30 Ländern kamen nach Hannover ins Tagungszentrum Schloss Herrenhausen.

EATB diskutiert aktuelle Entwicklungen der Gewebemedizin

„Wir haben uns gefreut, Forscher und Mediziner aus der ganzen Welt in Hannover begrüßen zu dürfen“, sagt Martin Börgel, Vorstandsmitglied der EATB und Geschäftsführer der DGFG. Wie die Gewebemedizin hat sich auch die EATB in ihren 25 Jahren verändert. In Hannover hat erstmals ein neues Veranstaltungsformat die einzelnen, oft parallel stattfindenden Workshops, Vorträge und Sitzungen anders strukturiert. „Die Konferenz bot einmal mehr die Gelegenheit, aktuelle Themen der Gewebemedizin zu diskutieren und sich über neue Entwicklungen auszutauschen“, sagt Börgel. Nicht nur wissenschaftliche Themen der Gewebespende und der Gewebebanken standen auf der Tagesordnung. Auch Fragen der Ethik in einer partiell von monetären Interessen beeinflussten Gewebemedizin und gesetzliche Veränderungen waren Gegenstand der Diskussion. Ein Novum waren drei gut besuchte Round Tables am Vorabend der eigentlichen Konferenz.

Einheitliche Kennzeichnung für alle Gewebe in der EU

Ab spätestens 29. April 2017 müssen alle in Europa in Verkehr gebrachten Gewebe- und Zellpräparate mit dem „Single European Code“ (SEC) versehen werden. Dieser Code ermöglicht die schnelle Rückverfolgbarkeit aller Gewebepräparate in der Europäischen Union. Durch die Eingabe der SEC in eine von der EU-Kommission bereitgestellt internetbasierte Datenbank können die Nutzer relevante Informationen über das Gewebe- und Zellpräparat abrufen. Die europäischen Gewebeeinrichtungen setzen damit, nach mehrjähriger arbeitsintensiver Vorbereitung, eine EU-Richtlinie für die Kodierung von Geweben und Zellen um. Ziel ist die Erhöhung der Patientensicherheit und die bessere Rückverfolgbarkeit im Falle von schwerwiegenden, unerwünschten Reaktionen.

Umfassende Aufklärung nötig

Kontrovers diskutiertes Thema war der Umgang und die Einordnung von privaten, kommerziellen und gemeinnützigen Einrichtungen der Gewebemedizin. Auch wenn die überwiegende Zahl der europäischen Gewebeeinrichtungen gemeinnützigen bzw. öffentlichen Organisationsstrukturen unterliegen, gib es kommerzielle bzw. privat-gemeinnützige Unternehmen. Selbst wenn die Gewebespende zu einhundert Prozent altruistisch funktioniert, sind diese Unternehmen unter Umständen bei der späteren Gewebebearbeitung involviert. Da Gewebe nicht direkt transplantiert werden, bedürfen sie immer einer Aufbereitung in der Gewebebank, die sogenannte Gewebeprozessierung. „Hier gab es in den vergangenen Jahren vielversprechende Entwicklungen, die Gewebe länger haltbar und die Transplantation erfolgreicher zu machen“, sagt Börgel. So lange diese Aufbereitung im gemeinnützigen Umfeld stattfinde, sei das alles kein Problem. „Kommt jetzt aber eine private Firma ins Spiel, wird es schwieriger“, beschreibt Börgel der Konflikt. Die Teilnehmenden diskutierten daher die Art und den Umfang der Aufklärung der Spender und ihrer Familien, wenn die Möglichkeit einer kommerziellen Nutzung der Gewebe bestehe. Transparenz im Hinblick auf Eigentumsverhältnisse und Nutzungsrechte an Geweben wird in Zukunft eine deutlich wichtigere Rolle einnehmen. Die DGFG vertritt seit Jahren die Ansicht, Spender und Angehörige immer vollumfänglich über die Verwendung der gespendeten Gewebe aufzuklären. Die DGFG führte u.a. zu diesem Thema ein Interview mit dem Medizinethiker Prof. Eckhard Nagel.

European Association of Tissue and Cell Banks - EATCB

Die European Association of Tissue Banks mit Sitz in Wien ist eine der wichtigsten Vereinigungen der Gewebemedizin. Sie vereint Gewebebanken aus ganz Europa. Mehr als 300 Mitglieder aus mehr als 40 Ländern sorgen dafür, dass die Entwicklung der Gewebemedizin kontinuierlich weitergeht. Die EATB ist sowohl in Kommissionen der Europäischen Union und der WHO als auch in zahlreichen weiteren internationalen Vereinigungen und Initiativen vertreten. Heute existieren etwa 700 Gewebe- und Zellbanken in Europa. Die Bedeutung der Zellbanken und deren Teilnahme an der EATB hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Deshalb wird aus der EATB künftig die EATCB – die European Association of Tissue and Cell Banks.

In Workshops und Round Tables wurden wichtige Theme der Gewebespende konstruktiv diskutiert.

Diana Wille (DGFG) stellt in der Posterausstellung der EATB mikrobiologische Testverfahren vor.

Mikrobiologische Test waren Thema in der Posterausstellung der EATB.

Mit Fundrasing Vertrauen in die Gewebespende aufbauen

Die Finanzierung der Gewebespende und der Arbeit der Gewebebanken ist seit vielen Jahren eine große Herausforderung für viele Einrichtungen. Die Aufwandserstattung der transplantierenden Kliniken müssen sämtliche Ausgaben decken. Öffentliche Fördermittel gibt es kaum. Daher bekommt für gemeinnützige Organisationen das Einwerben von Spenden, das Fundraising, zunehmend Bedeutung. Deutschland steht im Gegensatz zu vielen angelsächsischen Ländern in dieser Hinsicht erst am Anfang der Entwicklung. Gewebeeinrichtungen in den USA und Großbritannien, aber auch in Italien haben bereits vor Jahren kreative Programme entwickelt, um Spendengelder für Öffentlichkeitsarbeit oder die Weiterentwicklung der Gewebemedizin einzuwerben. „Konzerte, Weinproben oder auch regelmäßige Mailings bieten gute Möglichkeiten, um mit möglichen Spendern in Kontakt zu kommen“, sagt Sibylla Schwarz, die das Fundraising der DGFG betreut. Mit einem Spendenkonto ist es nicht getan. Menschen müssen erfahren, was mit ihrer Spende geschieht. Fundraising bekommt daher für viele gemeinnützige Gewebeeinrichtungen zukünftig eine größere Bedeutung.

EATB – Interdisziplinär über Gewebegrenzen hinweg

Die Konferenz thematisiert alle relevanten Teilbereiche der Gewebemedizin. Die EATB bringt Wissenschaftler und Ärzte ganz unterschiedlicher Professionen zusammen. Neben fachlichen Unterschieden gibt es viele gemeinsame Berührungspunkte, welche sowohl gesetzliche Regelungen und Qualitätsmanagement als auch ethische Aspekte und Fragen der Einwilligung betreffen. Die EATB ist nicht nur für Mitarbeiter von Herzklappenbanken, Hornhaut- und Knochenbanken von großer Relevanz. Auch Augenärzte, Herz-, Gefäß- und Unfallchirurgen sowie Stammzell- und Grundlagenforscher finden Input und Lösungen für ihre tägliche Arbeit.

EATB 2016 – Mix aus Workshops, Präsentationen und Networking

Der Siegeszug der lamellären Transplantationstechniken bei der Hornhauttransplantation geht weiter. Ärzte präparieren diese bisher direkt vor der DMEK-OP. Nur wenige Gewebebanken sind in der Lage, bereits vorpräparierte Hornhautlamellen für DMEK anzubieten. Die DGFG war 2015 die erste Gewebeeinrichtung in Deutschland, die mit LaMEK vorpräparierte Augenhornhäute für DMEK bundesweit an Ärzte vermitteln durfte. Mit der Knappschafts-Gewebebank Sulzbach, die gemeinsam mit der DGFG und der Augenklinik am Knappschaftsklinikum Saar in Sulzbach aufgebaut wurde, bekam dann 2016 eine weitere Hornhautbank die Genehmigung des Paul-Ehrlich-Instituts. Relevant für Gewebespendekoordinatoren war der vielbesuchte, mehrmals stattfindende Workshop „Donor Selection“. Ein Team aus den USA sensibilisierte anhand praktischer Übungen für eine kritische Überprüfung möglicher Gewebespender auf Risikofaktoren. Schon kleine Veränderungen oder Auffälligkeiten am Körper des Verstorbenen können Hinweise auf Risikofaktoren geben. Somit waren Risikominimierung, Reduzierung von Kontaminationen, Bearbeitungstechniken und Statistiken immer wiederkehrende Themen in Präsentationen und Vorträgen.

Ein eigener Veranstaltungspunkt widmete sich dem Thema Amnionmembran. Bei der Amnionspende handelt es sich um eine Lebendspende. Die hauchdünne Membran stammt von der Plazenta und wird im Rahmen einer Kaiserschnittgeburt gespendet. Gewebebanken konservieren Amnion üblicherweise bei -180 Grad Celsius. Nicht nur in der Augenheilkunde hat Amnion schon heute eine überragende Bedeutung. Auch andere Fachbereiche beschäftigen sich mehr und mehr mit den hervorragenden Einsatzgebieten dieser dünnen und heilenden Haut. Auch der Einsatz pluripotenter Stammzellen, aus denen sich unterschiedlich differenzierte Zellen bilden, bekommt zunehmend eine größere Bedeutung in Forschung und Anwendung.

Gewebespende – Europaweit geregelt und doch unterschiedlich

Die Gewebespende in Europa bekam zwar durch die Europäische Geweberichtlinie 2004/23/EG einen gemeinsamen Rahmen, aber die Umsetzung in den einzelnen Mitgliedsstaaten erfolgte individuell. Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den einzelnen Ländern sind daher seit Jahren auf jeder Tagung Thema. Die DGFG hat deutschlandweit Strukturen und Spendeprogramme aufgebaut, die eine Gewebespende jederzeit ermöglichen und international als Erfolgsmodell für Deutschland angesehen werden.