Gewebevermittlung: Jeden Tag ein organisatorisches Meisterwerk

Ein Portrait der Vermittlungsstelle der DGFG.

Barbara: Es kommt gleich noch ein tektonischer Antrag. Sie möchten am liebsten Montag, spätestens Dienstag operieren.

Täglich gehen zahlreiche Anfragen von Transplantationszentren aus ganz Deutschland bei der Vermittlungsstelle der DGFG in Hannover ein. Da kommt es bei einem Interview auch hin und wieder mal vor, dass das Telefon klingelt und eine Anfrage schnell bearbeitet werden muss. Denn am anderen Ende der Leitung muss ein Arzt einen Patienten zeitnah mit einem Gewebetransplantat versorgen.

Regina: Ich bin seit Oktober 2006 bei der DGFG, damals noch DSO-G, und war seit Oktober 2007 zunächst administrative Leitung. Seit 2015 leite ich die Gewebevermittlungsstelle in Hannover. Bei schwierigen medizinischen Fragestellungen stehen auch unsere ärztlichen Regionalleiter Dr. med. Frank Polster und Sonja Tietz zu Verfügung. Als ich vor ca. elf Jahren bei der DGFG angefangen habe, waren wir ein ziemlich kleines Team in Hannover mit nur fünf Personen insgesamt. Wenn ich jetzt sehe, dass wir heute knapp 60 Mitarbeiter haben plus viele Honorarkräfte, die für uns in den Kliniken Gewebe entnehmen, dann bin ich von der Entwicklung der DGFG begeistert und freue mich immer wieder darüber, Teil dieses Teams zu sein. Aber nicht nur die Anzahl der Mitarbeiter hat sich gesteigert. Es hat sich auch sehr viel von der Vermittlungsseite her verändert: Nach anfänglich 300 vermittelten Hornhäuten, sind es heute über 3.000 im Jahr. 2008 ist die Amnionmembran in der Vermittlung dazu gekommen. Seit Dezember 2015 haben wir die Zulassung, die vorpräparierte Hornhautlamelle, unsere LaMEK, in den Verkehr zu bringen. Seit Januar 2016 vermitteln wir diese Lamelle sehr erfolgreich und haben heute viele Patienten, die auf ein solches Transplantat warten.

Vergangenes Jahr haben wir über 3.000 Patienten mit einem Hornhauttransplantat versorgt. Das ist nur möglich, weil wir ein großes Netzwerk mit vielen Gewebebanken sind. Nur so können wir viele Patienten deutschlandweit versorgen.

Tanja: Ich bin seit August 2013 bei der DGFG. Wir sind hier quasi das Bindeglied zwischen den Spenderkrankenhäusern, Koordinatoren, den Gewebebanken und transplantierenden Einrichtungen.
Barbara: Ich arbeite seit Oktober 2007 bei der DGFG. Wir überprüfen in der Vermittlungsstelle auch mehr als 2.300 Spenderakten auf Vollständigkeit und Richtigkeit.

Was vermittelt ihr in der DGFG am meisten?

Regina: Der größte Anteil in der Gewebevermittlung sind die Augenhornhäute. Als zweites kämen Amnion und danach kardiovaskuläre Gewebe. Die Augenhornhäute werden in verschiedenen Gewebebanken, mit denen wir zusammenarbeiten, organkultiviert. Sie sind 34 Tage transplantabel. Wir versuchen, sie so schnell wie möglich zu vermitteln. Die Zellzahlen sind am besten, je früher die Hornhäute dem Patienten transplantiert werden. Die Amnionmembran wird zurzeit in der gemeinnützigen Kornea- und Gewebebank Schwerin, einer gemeinsamen Gewebebank der Helios Kliniken Schwerin und der DGFG, präpariert und anschließend eingefroren, d. h. kryokonserviert. Diese ist dann ein Jahr lang haltbar und kann täglich von uns bezogen werden. Bis 13.30 Uhr angemeldet, kann das Amnion am nächsten Tag im Transplantationszentrum angeliefert werden.

Regina Michaelis, Barbara Schmeißer und Tanja Petrich (v. l. n. r.)

Barbara Schmeißer prüft eine Anfrage

Regina Michaelis ist stolz, Teil des Teams der DGFG zu sein.

Wo siehst du den größten Bedarf an Gewebe?

Regina: Ein großer Mangel herrscht bei den kardiovaskulären Geweben. Diese beziehen wir derzeit noch aus der Organspende. Die DSO meldet unseren Koordinatoren einen Organspender, der für eine Gewebespende in Frage kommt. Wenn z. B. das Herz nicht mehr für eine Organtransplantation geeignet ist, wird es zum Gewebe umgewidmet und uns angeboten. Unsere Gewebespendekoordinatoren kümmern sich dann um die Spende des Organs und leiten es an die Gewebebank für die Prozessierung weiter. Wir haben zurzeit zwei Gewebebanken, eine in Kiel und eine in Braunschweig, wo kardiovaskuläre Gewebe prozessiert werden. Die Herzklappen und auch die Arterien und Venen, die wir aus einer Multiorganspende gewinnen können, werden in einem Stickstofftank bei Minus 170 Grad aufbewahrt und sind dort fünf Jahre lang haltbar.

Wie läuft die Organisation der Transporte ab?

Regina: Die meisten Spendermeldungen gehen bei den Koordinatoren direkt ein. Nach der Gewebeentnahme, melden sich die Koordinatoren bei uns. Wir disponieren und koordinieren dann die Transporte in die jeweiligen Gewebebanken, abhängig von deren Kapazität.

Was geschieht in der Zwischenzeit?

Regina: Wir haben eine große Empfängerdatenbank. Dort werden die ganzen Spenderdaten von den Gewebespendekoordinatoren eingepflegt, speziell die Daten für die Augenhornhäute und Amnionmembranen. Über die Empfängerdatenbank können auch die zuständigen Ärzte in den Transplantationszentren ihre Patienten bei uns anmelden. Teilweise haben die Mitarbeiter in den Zentren einen eigenen Online-Account für die Empfängerdatenbank und können dort auch sehen, wer auf ihrer Warteliste steht, ob die Patienten schon ein Gewebe zugeordnet bekommen haben. Sie haben dadurch eine aktuelle Übersicht. Viele Transplantationszentren schicken ihre Anmeldungen auch per Fax. Notfallanforderungen gehen aufgrund der hohen Dringlichkeit meist vorab telefonisch ein.

Wir Mitarbeiter der Gewebevermittlungsstelle sehen die lange Warteliste unserer Patienten. Wir würden uns freuen, diese noch zeitnaher versorgen zu können. Dazu bedarf es einfach mehr Menschen, die sich für eine Gewebespende entscheiden.

Wie häufig erhaltet ihr Notfallanfragen?

Regina: Jede Woche erreichen uns ca. sieben bis zehn Notfallanfragen für eine Augenhornhaut, weil ein Patient ein Geschwür im Auge hat oder dieses Geschwür sogar schon perforiert ist. Wir versorgen diese Notfallanfragen dann zeitnah, meistens sogar für den nächsten Operationstag.

Wie ist der aktuelle Stand der Warteliste?

Regina: Zurzeit haben wir ca. 1.700 untypisierte Patienten auf der Warteliste. Täglich werden die Augenhornhäute, die wir zur Verfügung stehen haben, den Patienten zugeordnet. Dabei gibt es verschiedene Kriterien wie die Position auf der Warteliste, die Erkrankung und das Alter des Patienten, die vorgesehene Operationsmethode sowie die einzelnen Kriterien, die uns die Transplantationszentren für die Hornhäute, die sie benötigen, mitgeteilt haben. Schließlich gibt es noch unseren Urgency-Code, über den wir die Dringlichkeit des Patienten dokumentieren.

Tanja Petrich ist seit vier Jahren Teil der Vermittlungsstelle der DGFG.

Barbara Schmeißer und Regina Michaelis bei der Arbeit (v. l. n. r.)

Gewebevermittlung

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